Elfen, Trolle, Einhörner: Ein Tanz- und Klangprojekt an der HPS Flawil
18 Schweizer Schulen bieten im Augenblick als Teil des Programms „Kulturagent-innen für kreative Schulen“ ganz besondere Projekte an. Die Heilpädagogische Schule – HPS – Flawil nimmt als wichtige Bildungsstätte für Kinder mit besonderen Bedürfnissen an diesem Kulturangebot teil.
In Flawil ist die Regisseurin, Dramaturgin und Musikvermittlerin Barbara Tacchini zusammen mit den Choreografinnen und Tanzpädagoginnen Gisa Frank und Eva Reichmuth und vier Musikern für das Projekt verantwortlich. Insgesamt unterstützen schweizweit sieben Frauen und zwei Männer die beteiligten Schulen in den Bereichen Kunst, Tanz- und Klang sowie Umgang mit Wörtern und Sprache. Die Programme laufen während vier Jahren. Gemeinsam mit den teilnehmenden Schulen wird ein qualitativ hochwertiges, fächerübergreifendes und bedarfsorientiertes Angebot der kulturellen Bildung entwickelt und in den Schulalltag integriert.
Den Abschluss eines Projekts dokumentieren die Kulturschaffenden mit einem Abschlussbericht, je nach Projekt auch mal mit einem Film. Finanzielle und ideelle Unterstützung bieten die Mercatorstiftung Schweiz sowie verschiedene Kulturförderungsvereinigungen, dazu die beteiligten 7 Kantone AR, BE, FR, SG, TG, VS und ZH. Für diese Projekte wurde eigens der gesamtschweizerische Verband „Kulturvermittlung Schweiz“ gegründet.
Ziel des Projekts
Die beteiligten 50 Kinder und Jugendlichen sollen innerhalb von vorgegebenen Grenzen einen eigenen Weg zum Thema finden. Gearbeitet wird in Einzelklassen von 7 Kindern. Sie werden von Künstlerinnen und Künstlern und den Klassenlehrpersonen auf diesem Weg begleitet. Der Zugang zu den eigenen Emotionen wird dabei als wichtiges Ziel angestrebt, damit ein gesundes Selbstbewusstsein entwickelt werden kann. Gerade für Kinder und Jugendliche einer Heilpädagogischen Schule, für welche die üblichen Schulfächer meist eine grosse Herausforderung darstellen, sind solche Einschübe in den üblichen Schulalltag wichtige Oasen. Tanz, Bewegung und Musik brauchen keinen intellektuellen, sondern im Gegenteil einen emotionalen Zugang. Nicht selten kommen in solchen Projekten ungeahnte Talente zum Vorschein, die ihrerseits wieder zu mehr Selbstvertrauen in das eigene Tun führen. Eine Aufführung für Eltern und andere Betreuungspersonen ist diesmal nicht vorgesehen.
Frühere Angebote
Schon 2020 – wegen der CORONA-Pandemie mitten im Lockdown – hatten alle HPS-Schülerinnen und Schüler an einem besonderen Projekt teilnehmen dürfen. Mit Tonaufnahmen der Kinder und Jugendlichen gestalteten der Flawiler Soundtüftler Reto Knaus und die Jazzsängerin und Komponistin Miriam Sutter ein Hörspiel, basierend auf den Geschichten von „Frederick, die Maus“ und „Die grosse Wörterfabrik“. Das Ergebnis kann auf der Seite von KULTURAGENT-INNEN.CH nachgehört und nachgelesen werden, es lohnt sich.
https://www.kulturagent-innen.ch/de/dokumentation/gruselfilm-unser-schulgespenst
Erzieherische Komponente
Regeln gehören zu einem guten Miteinander. Jedes menschliche Wesen braucht zu Beginn seiner Entwicklung einen Rahmen, der ihm hilft, seine eigenen Bedürfnisse in Einklang mit denen seiner Mitmenschen zu bringen. Aufeinander hören können, einmal auch warten, während andere etwas zeigen, nicht ständig schwatzen, andere Kinder nicht anrempeln: All diese Vorgaben werden seit Beginn dieses Projekts eingeübt. Es ist erstaunlich, wie ruhig und aufmerksam die Kinder kurz vor Abschluss des Projekts bei den einzelnen „Programmpunkten“ mitmachten. Das zeigt einmal mehr, wie sinnvoll und unverzichtbar ein wiederkehrendes Üben für einen nachhaltigen Lernerfolg ist. Für die Schule ist es ein absoluter Glücksfall, dass in den stillgelegten Teilen der FLAWA genügend passende Räume für ein solches Projekt zur Verfügung stehen.
Musik und Tanz als Ausdrucksmittel
Goran Kovačević ist ein vielseitiger, mit vielen Preisen bedachter Musiker, der das Akkordeon zu seinem Instrument erkoren hat. Normalerweise unterrichtet er an Gymnasien oder Musikhochschulen, spielt auf den grossen Bühnen der Welt in den verschiedensten Formationen, aber in Flawil liess er sich auf ein ganz neues Unterrichtsfeld ein. Dies sei jetzt sein allererster Einsatz dieser Art. Oberhalb der Maske blitzten dabei seine Augen, man spürte, dass er sich freute, Teil dieses Projektes zu sein.
Er ist hier Impulsgeber, Beobachter, nimmt sich zurück, lässt die Kinder spüren, was die Musik in ihnen auslöst. Oft sass er einfach nur da, spielte dazwischen hie und da ein kleines, ruhiges Thema an, um kurz darauf in einen musikalischen Dialog mit den Handlungen der beteiligten Kinder zu wechseln. Ein musikalischer Sturm forderte beispielsweise zwei tanzende Elfen heraus. Ob sie jetzt Angst vor dem Sturm gehabt hätten, fragte eine Betreuerin. „Nein, nein, ich habe einfach schnell getanzt“, war die Antwort eines der mutigen Elfchen.
Ruhige Atmosphäre
Eine Art atmosphärischer Klang auf einem Monochord-ähnlichen Instrument – von einem Buben mit grossem Ernst gezupft – begleitete tanzende Elfen und Trolle. Die luftigen Kopfbedeckungen und Armstulpen halfen den Kindern ganz offensichtlich, sich als leichtfüssiges Wesen zu fühlen, wenn das auch nicht für alle gleich gut möglich war. Immer tanzten da auch „grosse Elfen“ mit, Lehrerinnen der Klasse, Barbara Tacchini, ein Praktikant der Schule. Dabei fiel eine grosse Ernsthaftigkeit auf. Es fiel kaum ein Wort, hie und da stiess einzig jemand einen Laut der Freude aus.
Aufforderung zu eigenem Tun
Nach dem Wechsel in einen andern Raum durften die Kinder selber ein Instrument zu spielen versuchen. Da gab es doch das eine oder andere mutige Kind, welches sich traute. Gleich drei Akkordeons standen zum Gebrauch bereit. Anfänglich brauchte es etwas Unterstützung. So stand eine Leiterin hinter einem etwas zögerlich hantierenden Buben, legte ihm sachte die Hände auf den Rücken, was ihn sichtlich stärkte. Plötzlich erklangen Akkorde. Goran Kovačević hörte gut zu, fiel mit einem zarten Zwischenspiel ein, eine Art Lied entstand. Auf die Frage, welche Stimmung denn da zu hören war, meinte ein Kind: „Alte Musik“.
Schliesslich waren alle drei Instrumente in Bubenhänden. Auch hier gelang es dem Profi-Musiker, alles mit seinem Instrument aufzufangen. Dazu durfte auch getanzt werden. Dabei fiel auf, wie auch anfänglich richtig zögerliche Bewegungen zu einem ausgelassenen Tanz – bis hin zu Breakdance-Elementen – werden konnten, je länger so eine Szene dauerte. Es berührte, wie sehr die äusserst subtile Führung durch die Erwachsenen von den Kindern angenommen wurde. Die Musik spielte dabei immer eine unterstützende Rolle.
Unterschiedliche Ausdrucksmöglichkeiten
Klang und Tanz sind eine Art Geschwister. Immer ist der Körper mit seinen Bewegungen beteiligt. Aber erst Musik bringt diesen in eine gemeinsame Schwingung. Nicht immer ging da alles einfach reibungslos vor sich. Da sträubte sich ein Kind, auf eine Vorgabe einzusteigen. Dort getraute sich eines nicht, mehr von sich zu zeigen, blieb mit verschlossenem Gesicht stehen. Doch den Betreuungspersonen gelang es immer wieder, auch diese Kinder ins Geschehen zurückzuholen. Beim grossen Klatschen auf den Raumboden waren jedoch alle mit grösster Lust dabei und brachten es dabei auf eine ansehnliche Lautstärke, die auch als Schwingung auf dem Boden spürbar war.
An diesem Tag waren Eva Reichmuth, Barbara Tacchini und Goran Kovacevic leitend anwesend, an anderen Tagen abwechselnd auch Gisa Frank und die ins Projekt ebenfalls eingebundenen Musiker Christian Berger – Gitarre, Saiteninstrumente -; Dominic Doppler –Percussion -oder der kubanische Perkussionist Keisel Jimenez Leyva.
Dieser Artikel bezieht sich auf einen Besuch an einem Morgen kurz vor Abschluss des Projektes.