«Putin und der Ukraine-Krieg»– Luzia Tschirky in der Uzwiler Bibliothek

«Putin und der Ukraine-Krieg»– Luzia Tschirky in der Uzwiler Bibliothek

2. September 2024 Aus Von Annelies Seelhofer-Brunner

Die bekannte SRF-Journalistin Luzia Tschirky hat Jahrgang 1990. In ihrem noch nicht allzu langen Leben hat die Frau aber schon sehr viel erlebt. Am 24.Februar 2022 war sie ausgerechnet in Kiew – sie schreibt diesen Namen «Kyjiw» – , als die Russen in der Ukraine einmarschierten. Darüber hat sie ein Buch geschrieben. Vorher hatte sie etliche Jahre in Russland gelebt. Für ihre Arbeit erhielt sie mehrere Preise, unter anderen die Auszeichnung als «Journalistin des Jahres 2021».

In der Bibliothek Uzwil durfte die grosse, sehr interessierte Zuhörerschaft ein spannendes Gespräch zwischen Tschirky und dem Kulturvermittler Urs Heinz Aerni erleben. Auf dem Flugblatt stand zwar «Lesung und Gespräch» – doch der Abend wurde zu einem spannenden Austausch zwischen Interviewer Aerni und der Journalistin, die jedoch kein einziges Wort aus ihrem Buch las. Schliesslich hat sie das Buch ja selbst geschrieben und kann deshalb aus dem Vollen schöpfen. Unterdessen hat sich die junge Frau selbständig gemacht.

Herkunft

Die Journalistin Luzia Tschirky ist im Sarganserland aufgewachsen. Zuhause wurden viele Medien konsumiert. Da gehörte selbstverständlich auch Zeitunglesen dazu. Sie selbst kreierte schon als Kind eine eigene Zeitung, die sie dann zu verkaufen suchte. Sogar Verlosungen sollten die Käuferschaft anlocken. Und ebenfalls bereits im Kindesalter war für sie schon klar, dass sie einmal Journalistin werden wolle. Nach der schulischen Ausbildung an der Kantonsschule Sargans studierte sie mit Bachelor-Abschluss Politikwissenschaften an der Uni Zürich. Dort lernte sie nach eigenen Angaben sehr viel, gerade auch Entwicklungen über längere Zeiträume zu beobachten oder zwischen ganz unterschiedlichen politischen Systemen Vergleiche anzustellen. Näheres dazu kann unter Luzia Tschirky erfahren werden.

Riesiges Aufgabengebiet

«Warum gerade Journalistin in Russisch sprechenden Staaten?» fragte Aerni. Der Name «Tschirky» – obwohl absolut ein Weisstannental-Geschlecht – werde von vielen mit östlichen Wurzeln verbunden. Da passe doch ihr Name bestens zu dieser Gegend. 2010 fragte die Europäische Jugendpresse nach jemandem, der aus Russland berichten möge. Und die junge Journalistin Tschirky meldete sich prompt. Erst schrieb sie Artikel und verkaufte diese dann an interessierte Medienhäuser. Später arbeitete sie für die SRG und berichtete da über die Staaten Russland, die Ukraine und den Belarus. Ihr gefiel die Kälte im Land, da sie schon immer gerne Schnee gehabt habe. Russisch ist ihr in Fleisch und Blut übergegangen. Ihr Ehemann ist ausserdem deutsch-russischer Herkunft.

Verhältnisse in Russland

Luzia Tschirky ist überzeugt, dass man sich in Russland über die wirklichen Verhältnisse auf verschiedenen Kanälen informieren kann. Doch was macht man mit diesen Erkenntnissen? Moderator Aerni warf ein: «Ich habe in jungen Jahren sehr oft RADIO MOSKAU gehört.» Gegenfrage von Luzia Tschirky: «Und dann alles geglaubt?» In den 80iger-Jahren gab es kaum westliche Korrespondenten in den Staaten der damaligen UdSSR. Schliesslich herrschte da der Kalte Krieg. Erst Gorbatschow begann vorsichtig damit, Russland mehr zu öffnen – Stichwort GLASNOST. Doch bald darauf kam Putin und mit ihm eine neue Diktatur, die dank Wahlmanipulationen zu einer Endlosherrschaft geworden ist. Auf dem Sender SRF kann über Putins Aufstieg vieles erfahren werden.

Eingeschränkte Arbeitssituation

Leicht war es nicht, in Moskau ein Büro zu finden. Luzia Tschirky teilte sich dieses mit Kollege David Nauer. Dieser kehrte 2022 aus Moskau zurück nach Bern. Vorher war Christof Franzen Sonderkorrespondent in Russland für SRF gewesen. Dieser hatte von Verfälschungen seiner SRF-Reportagen berichtet. Seit Januar 2023 informiert Calum MacKenzie auf Radio SRF und über digitale Kanäle über diese Weltgegend. Sein Visumsantrag ist allerdings noch immer hängig, darum berichtet er von der Schweiz aus, mit guten Kontakten zu Menschen in «seinen» Ländern. Er sagt: «Viele unterschätzen, wie gut die Digitalisierung dem Journalismus getan hat».

Luzia Tschirky schilderte, wie schwierig die Büroauflösung in Moskau gewesen war, da man kein Geld einfach so ausser Landes senden könne. Dank diplomatischer Hilfe und einigen Umwegen gelang es ihr jedoch, ihr Konto in die Schweiz zu transferieren. Bei Ausbruch des Krieges war sie sofort um die Evakuierung ihrer polnischen Mitarbeiter besorgt. Glücklicherweise konnte sie alle in Sicherheit bringen. Nur ein humanitäres Visum für die Schweiz war nicht zu erhalten, da Polen im Schengenraum liegt.

Gewaltherrschaft

Luzia Tschirky berichtete von Schikanen, die ihr immer wieder begegnet waren. Die Bürokratie muss man sich recht anstrengend vorstellen. Willkür gehört jedenfalls zum Alltag. Unterdessen ist die Schweiz ja auch zu einem «unfreundlichen Staat» aus Sicht der russischen Staatsführung geworden. In Russland haben praktisch alle Bürgerinnen und Bürger Erfahrungen mit traumatischen Vorgängen gemacht. Die deutsche Wehrmacht zerstörte vieles, viele Menschen wurden – besonders unter Stalin – deportiert, der Krieg hallte noch lange nach.

Einmal wollte Luzia Tschirky mit Freunden in Belarus einen Kaffee trinken. Sie hatte sich für die begleitende Frau eingesetzt. Doch die Polizei griff sie auf, brachte sie auf einen Polizeiposten. Die Akkreditierung nützte da überhaupt nichts, obwohl dieses von diesem Staat ausgestellte offizielle Dokument Bewegungsfreiheit garantieren sollte. Es scheint, dass die Polizei Vorgaben hat, wie viele Personen sie an jedem Tag verhaften und einvernehmen soll. Das schürt Ängste und hilft der Diktatur, weiterhin von Protesten verschont zu werden. Die Frau wurde festgesetzt, Tschirky nach einigen Stunden wieder freigelassen. Die Verhältnisse in solchen Gefängnissen darf man sich nicht zu luxuriös vorstellen. Keine Matratzen, keine hygienischen Einrichtungen, kaum und/oder nicht passendes Essen… Ihr Mann habe da gefunden, sie habe zu viel riskiert.

Persönliche Beziehungen

Während Jahrhunderten waren die Menschen in den Staaten Belarus, Russland und der Ukraine miteinander freundschaftlich verbunden. Wer älter als 30 Jahre alt ist in Russland, weiss um die verwandtschaftlichen Verbindungen, welche die Bürger in die jeweils anderen Staaten haben. Auch Tschirky hat – auch durch Verbindungen zu Verwandten ihres russischen Ehemannes – viele private Beziehungen zu Menschen in diesem riesigen Gebiet.

Zusammenarbeit mit Radio und Fernsehen SRF

Dies war ein längerer Prozess. Tschirky erwarb sich grosses – theoretisches – Wissen über das Land. Damals war die Schweizer Redaktion in Russland fast die einzige westliche Pressestelle. Früher waren die Büros von  Fernsehen und Radio in der Schweiz noch an unterschiedlichen Orten, die Zusammenarbeit noch nicht so eng wie heute. Das erschwerte den Informationsfluss. Näheres dazu kann unter der Geschichte der SRG nachgelesen werden. Als ihr eine Stelle als Russlandkorrespondentin angeboten wurde, sagte sie ohne langes Nachdenken zu.

Themenwahl und Glaubwürdigkeit

«Wer bestimmt die Themensetzung?» fragte Urs Heinz Aerni. In Russland habe sie viele Themen an die Redaktion geschickt, da sie vor Ort Aktualitäten beurteilen konnte. Meist hätte sie einen Vorsprung auf die staatlichen Medien gehabt, indem sie sich auf einschlägigen Kanälen informiert hätte. In der heutigen schnelllebigen Medienwelt macht da oft schon eine halbe Stunde etwas aus. So habe sie schon vor der Verlautbarung am russischen Fernsehen vom gewaltsamen Tod des russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny erfahren. Dabei sei es äusserst wichtig, nach so einer Verlautbarung nicht gleich sofort drauflos zu schiessen, sondern sich erst überlegen, ob die Quelle vertrauenswürdig sei. Glaubwürdigkeit der Berichterstattung ist das A und O für die Einschätzung der Lage vor Ort. Auch die Frage über die Befindlichkeit der Menschen auf der Krim wurde gestellt. Da ist es äusserst schwierig – gehört offiziell zur Ukraine, ist aber von Russland besetzt worden. Deren Armee  schüchtert die Gesellschaft ein. Überall gibt es Spitzel.

«Was wäre das schlimmste Szenario bei einer Verhaftung?»

So fragte Urs Heinz Aerni nach. Schikanieren, Schläge bis hin zu Blutergüssen – vor allem in Belarus – Kamera oder Laptop beschlagnahmen. In Russland werden Frauen in der Öffentlichkeit kaum geschlagen, wohl aber im häuslichen Umfeld – ein sehr grosses gesellschaftliches Problem. Die Furcht vor körperlicher Misshandlung ist ein wirksames Mittel, um die Opposition – sofern es noch eine solche gibt – einzuschüchtern.

Fragen aus dem Publikum

Hier wurde nach der aktuellen Stimmung in Russland gefragt. «Die Menschen haben sich in ihre Welt zurückgezogen. Auch wenn man informiert ist, wagt man nicht, gegen die Desinformation zu kämpfen, zu viel an persönlicher Gefahr ist damit verbunden.» Auch wer ausreist, läuft damit Gefahr, dass dafür jemand aus der näheren Verwandtschaft oder aus dem Freundeskreis willkürlich verhaftet und mit einer undurchsichtigen Anklage eingesperrt wird. Tschirky war Ende Mai 2022 zum letzten Mal in Russland. Unterdessen wird sie nicht mehr ins Land gelassen. Es sei deshalb schwierig, zu erfahren, was die Leute denken würden. Sie erzählte auch von einer Frau, die Kriegsverbrechen in der Ukraine in einem Buch dokumentiert habe, darauf einen Giftanschlag in Deutschland erlebte und nun immer wieder umziehen muss, weil die Gefahr für ihr Leben einfach zu gross ist.

Ein Mann berichtete von russischen Mitarbeitern, die steif und fest behaupten würden, dass man im Westen nur «Fake-News» über Russland berichten würde und Putin ein wunderbarer Staatsführer sei.

Und in der Ukraine gehört Stromausfall unterdessen zum Alltag. Ziel der russischen Führung ist es, die ganze zivile Infrastruktur zum Erliegen zu bringen und die Ukraine in die Knie zu zwingen.

Apéro

Beim Apéro diskutierten die Anwesenden eifrig über das Gehörte, welches zum Nachdenken angeregt hatte. Die Buchhandlung GUTENBERG war mit einem ziemlichen Kontingent an Büchern angereist. Diese fanden grossen Anklang. Und Luzia Tschirky signierte ihr Buch auf sehr einfühlsame Weise, ganz nach den Wünschen der Käuferschaft.

Nächster Anlass der Bibliothek

13. September 2024 um 18:30 im Seniorenzentrum Sonnmatt in Niederuzwil

Lesung mit Blanca Imboden – anschliessend Apéro Riche (Anmeldung erforderlich)