Männermacht – Frauenmacht…
Privatdozent Dr. Dominique Kuenzle, an der Uni ZH sowie an den beiden Kantonsschulen Wil und Heerbrugg für – feministische – Philosophie tätig, führte am zweiten ökumenischen Bildungsabend in die Welt der Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern ein. Dabei ging es auch um die Macht der Worte. Trotz wunderschönem Frühsommerabend kamen erstaunlich viele Personen in die Unterkirche und liessen sich auf das Thema ein.
1 Pfarreileiterin Ingrid Krucker begrüsste die interessierte Zuhörerschaft. 2 Anfänglich war auch Mesmer Urs Lenz gefragt, da die Technik gerne so ihre Tücken hat… 3 Dominique Kuenzle referierte – nur gestützt durch eine Power-Point-Auflistung – frei und faktenreich.
Unterschiedliche Erscheinungsformen von Macht
Der Referent unterteilte die verschiedenen Machtstrukturen in drei Teile. Personale Macht bezieht ihre Legalität durch körperliche oder technologische Überlegenheit – beispielsweise Waffen – oder durch ökonomische Macht, nach dem geflügelten Wort „Geld regiert die Welt“. „Wissen ist Macht“ zeigt ein weiteres Feld personaler Macht auf. Nicht umsonst waren Mädchen während Jahrhunderten von Bildung ausgeschlossen, auch hier in der Schweiz. Und Institutionen wie Pro Juventute oder Sozialämter haben ebenfalls grosse Macht. Die Diskussionen beispielsweise um die KESB zeigen, wie sensibel die Bereiche um Eingriffe in die persönliche Freiheit sind. Hier muss besonders vorsichtig vorgegangen werden. Zudem ist in allen Bereichen von Staat und Institutionen eine unabhängige Aufsicht zwingend.
Über Jahrhunderte gewachsene Strukturen
Ein Blick auf die Schweiz zeigt, dass über Jahrhunderte nur die männliche Person Stimm- und Wahlrecht hatte, bis 1971 endlich das Frauenstimmrecht auf nationaler Ebene eingeführt wurde. Und es dauerte noch bis 1988, bis das neue Eherecht griff, wenn auch da erst einmal auf dem Papier, noch nicht aber in allen Köpfen. Und erst seit 2004 ist Vergewaltigung in der Ehe ein Offizialdelikt, während es diesen Tatbestand während Jahrhunderten gar nicht gab, war doch damals die Frau „Besitz des Mannes“. Militär, Politik und Kirche waren jahrhundertelang ebenfalls absolut männliche Domänen. Und auch in der Wirtschaft ist noch heute die Chefetage zum grossen Teil männlich besetzt. Die „gläserne Decke“ ist vielen Frauen nur allzu bekannt.
Gleichberechtigung oder Gleichstellung?
Nicht verwunderlich ist es, dass punkto GLEICHBERECHTIGUNG die skandinavischen Staaten seit vielen Jahren die Rangliste anführen. Ihre Familienpolitik ist auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ausgerichtet, und zwar für beide Geschlechter. Kuenzle verwendet in diesem Zusammenhang lieber den Begriff GLEICHSTELLUNG als GLEICHBERECHTIGUNG. Zum Begriff GLEICHSTELLUNG führte er aus: „Würde, Freiheit, Möglichkeiten und Interessen von Frauen und Männern werden gleich gewichtet.“ In Zeiten von noch immer ungleicher Entlöhnung von Mann und Frau in vielen Bereichen der Wirtschaft scheint dies allerdings noch in weiter Ferne zu liegen, auch wenn schon einige Schritte zu diesem Ziel hin gemacht wurden. Der Frauenstreik vom 14.Juni 2019 will auf die noch immer ungleichen Bedingungen aufmerksam machen. Es gibt allerdings auch Bereiche, in denen die Männer oft ungerecht behandelt werden, etwa bei Scheidungen in Bezug auf die Zuteilung des Sorgerechts. Dazu ein Ländervergleich in den Bemühungen um die Gleichstellung: Ländervergleich Rangliste 2018
Widerstand gegen Gleichstellung
Es gibt jedoch auch Menschen, denen die heutigen Bestrebungen nach Gleichstellung gar nicht geheuer sind. Manche berufen sich auf die Bibel und finden, es sei Gottes Wille, dass der Mann das Haupt der Familie sei. Oder auch, dass die Frau doch dazu geboren sei, Kinder aufzuziehen, warum die Gesellschaft sie da in eine Karriere hineindrängen wolle. Die freie Marktwirtschaft wird ebenfalls bemüht, die doch alles gerecht regle. „Ja keine Quoten!“ heisst hier die Devise. Und wenn Frauen sich bei Lohnverhandlungen halt nicht durchsetzen könnten, sei das ihr Problem… Ausserdem gibt es noch immer viele Vorurteile bezüglich männlicher und weiblicher Eigenschaften. Frauen werden als Prinzessinnen, als passiv, emotional und wenig belastbar bezeichnet, Männer jedoch als Jäger und Eroberer. Daraus wird abgeleitet, dass die Frau für Haus und Herd, der Mann dagegen für „Geld und Geist“ geeignet ist. Damit wird dem Mann ökonomische Macht, aber auch grosse Verantwortung zugesprochen.
Was kann die Politik tun?
Die Politik legt die Rahmenbedingungen für ein gutes gesellschaftliches Miteinander fest. Die Freigabe von finanziellen Mitteln für die nötigen Strukturanpassungen wird je nach politischer Ausrichtung ganz unterschiedlich gewichtet. Diskussionen um die Ausgestaltung der Familienpolitik zeigen, dass hier grosse Differenzen bestehen. Tagesschulen, Kindertagesstätten, familienfreundliche Arbeitszeiten sind einige solcher Streitpunkte. Eine ganz aktuelle Umfrage zur Gleichstellung auf „20minuten“ zeigt nicht ganz unerwartet je nach Parteizugehörigkeit ein völlig unterschiedliches Bild. Während nur 25 % der SVP-Wählerschaft findet, dass Frauen diskriminiert seien, sind das bei den Grünen 73 %. Und während 67 % der Männer die Gleichstellung erreicht sehe, fühlen sich 57 % der befragten Frauen noch immer diskriminiert. Nicht vergessen werden darf dabei, dass es auch unterdrückte Männer gibt.
Die Macht der Worte
Wer andere Menschen verächtlich behandelt, sie mit Worten heruntermacht, spielt eine bedenkliche Macht aus. Diese bereitet den Boden für unmenschliche Behandlung von Randgruppen, ethnischen Minderheiten oder Personen mit abweichender sexueller Ausrichtung langsam und schleichend vor. Man denke nur an die Sklavenhaltung in Amerika und anderswo oder an die Rhetorik der Nazischergen. Wertschätzung und Anerkennung sind wichtige Puzzleteile für eine menschlich gut funktionierende Gemeinschaft.
Diskussion
In einer angeregten Diskussion kamen nach dem Referat verschiedene Aspekte zur Sprache, die ganz unterschiedliche Sichtweisen zeigten. Gerade auch im Hinblick auf geschlechtergerechte Sprache gab es Einwände dagegen. Das gebe zu kompliziert formulierte Texte. Auch die Macht der sozialen Medien kam zur Sprache. In Zeiten von „Fake News“ muss vieles mehr hinterfragt werden. Ein Beispiel dazu: Verschiedene Erdölfirmen oder auch Tabakfirmen haben jahrzehntelang bewusst Gefahren und Risiken ihrer Geschäfte schöngeredet oder schlicht verschwiegen.
Dominique Künzle wurde auch nach seiner Motivation gefragt, ein doch für einen Mann eher etwas ausgefallenes Gebiet zu erforschen. Seine Antwort zeigte auf, wie vielschichtig diese Thematik ist. Da ist die Suche nach Gerechtigkeit, die ein Aushandeln von Rechten und Pflichten in der Familie bedingt. Es gibt sehr interessante Phänomene, die gerade auch wegen der modernen Hirnforschung von Zeit zu Zeit wechselnde Standortbestimmung nötig machen. Und die Themen Rassismus und Sexismus sind im Alltag allgegenwärtig.
Den Link zum 1. Bildungsabend findet man hier. Allmacht – Macht – Ohnmacht