100 Jahre Baerdruck Oberuzwil: Gutenberg war nicht der Erste
In Oberuzwil gab es hundert Jahre lang die Buchdruckerei Baer. Diese Ära ist unterdessen Vergangenheit. Doch im Ortsmuseum Oberuzwil wird vieles davon wieder lebendig.
Im ehemaligen Statthalterhaus in Oberuzwil – dem heutigen Ortsmuseum – wird in dieser Saison eine spannende Ausstellung zu Druckergerätschaften gezeigt. 100 Jahre hat die Familie Baer eine Druckerei an der Tafelackerstrasse in Oberuzwil geführt. Sie hat in dieser langen Zeitspanne verschiedene revolutionäre neue Druckverfahren erlebt. Kurt Baer hat die Firma in dritter Generation bis zur Liquidation 2019 geführt. Etwas davon kann nochmals am Sonntag, 13. März 2022, im Ortsmuseum erfahren werden. Das Ortsmuseumsteam hat eine interessante Ausstellung mit verschiedenen Schaustücken zusammengestellt. Herzlich Willkommen im Ortsmuseum!
Schriftliches als Gedächtnis der Zeit
In früheren Zeiten erzählten sich die Menschen die Geschichte ihrer Familie, ihrer Sippe oder ihrer Ethnie an langen Abenden rund um ein Feuer, auf dem Feierabendbänkli oder am Dorfbrunnen. Man ritzte oder malte Geschichten in Felshöhlen – wissenschaftlich als Parietalkunst bezeichnet -, welche teilweise noch heute besucht werden können. Schriftliches aber gab es erst mit der Zeit. Die Keilschrift der Sumerer und die ägyptischen Hieroglyphen waren erste Formen schriftlicher Aufzeichnung. Allerdings musste man da unendlich viele Zeichen kennen – ähnlich der chinesischen Schrift heute -, was nur wenige Leute überhaupt lernen konnten. Kinderzeitmaschine ǀ Wer waren die ersten Künstler?
Um 1200 vor Christus erfanden die Phönizier ein Alphabet, allerdings waren dies nur Konsonanten, die Vokale musste man sich selber denken. Natürlich war es immer nur eine kleine Elite, die damals überhaupt lesen und schreiben konnte. Die Schrift der Germanen waren Runen, die vor allem in Skandinavien sehr lange verwendet wurden. Es gibt davon über 6500 Variationen. Die Nazis missbrauchten gegen Mitte des 20.Jahrhunderts gewisse Zeichen für ihre Embleme. Auch das Hakenkreuz stammt aus dieser Schrift.
Gutenberg erfand neue Drucktechnik
Entgegen der landläufigen Idee, Gutenberg habe den Buchdruck erfunden, gab es schon lange vor ihm Buchdrucker. In China war bereits im 1. Jahrhundert die Herstellung von druckfähigem Papier gelungen. Vorher war an einen richtigen Buchdruck nicht zu denken. In Korea gab es jedoch bereits im 13. Jahrhundert Metallbuchstaben. Gutenberg erfand aber eine neue Technik, wie bewegliche Metallbuchstaben für den Buchdruck eingesetzt werden konnten. Er entwickelte eine Spindelpresse – ursprünglich zur Weinherstellung gebraucht – weiter zu einer Druckpresse. Dabei entdeckte er, dass Russ und Leinölfirniss besser an den Lettern hafteten als die bisher üblichen Druckfarben.
1453 n.Chr. lag die erste Bibel der Welt mit 1‘100 Seiten gedruckt vor, die Vulgata. Es wurden 180 Exemplare hergestellt. Es gab darin aber auch noch handschriftliche Einträge. Eine solche Originalbibel hat heute einen Versicherungswert zwischen 40 und 50 Millionen Franken. Vorher hatten vorwiegend Mönche in langwierigen Prozessen Bücher abgeschrieben und so kopiert. Bücher waren lange eine absolute Kostbarkeit. Dank Gutenbergs Erfindung wurden Bücher nun auch für die Allgemeinheit erschwinglich. Mark Twain hielt dies für das «weitaus grösste Ereignis der Weltgeschichte». Johannes Gutenberg – Erfinder des Buchdrucks?
Anfänge der Druckerei Baer in Oberuzwil
1918 kaufte Gottfried Baer-Meyer, Grossvater von Kurt Baer, dem letzten Geschäftsinhaber, dem Nachbarn G. Kopp dessen Druckerei ab. In seinem Haus an der Tafelackerstrasse 1 richtete er darauf seine Druckerei ein. Seine Frau Marie war Schriftsetzerin, eine ideale Voraussetzung für einen Druckereibetrieb. Wer das Geschäft telefonisch erreichen wollte, rief die Nummer 73 an…
In der Blütezeit der Druckerei arbeiteten bis 16 Personen im Betrieb. Das Geschäft bekam vorwiegend Aufträge für regionale Drucksachen. Das waren Formulare aller Art, Steuerregister, Nachrufe, Telefonbücher – eher dünne Büchlein -, Schriften für Vereinsjubiläen, so beispielsweise zum 150-Jahr-Jubiläum der hiesigen Donnerstags-Gesellschaft, aber auch Bücher für den Heimatunterricht.
1947 übernahmen Kuno – Kurt Baers Vater – und Erwin Baer die väterliche Druckerei. Kuno war Schriftsetzer, Erwin dagegen Buchdrucker. Sie führten den Betrieb bis 1982. Darauf übernahm Kurt Baer die Firma, zusammen mit seiner Frau Doris, auch sie vom Fach als gelernte Schriftsetzerin. Donnerstagsgesellschaft Oberuzwil
Entwicklung der Technik
Das Druckergewerbe gehört bestimmt zu den Branchen, die von der Digitalisierung stark betroffen wurden. Kurt Baer investierte um 1980 in den Offsetdruck. Damit konnte auch mehrfarbig gedruckt werden. Als Grundfarben dienen Cyan, Magenta, Yellow und Schwarz, in der Druckersprache «Tiefe» genannt. Für jeden «Farbgang» braucht dies eine eigene Druckerstrasse. Heutige Drucker im Heimbüro benötigen die gleichen Grundkomponenten, ob Tintenstrahl- oder Laserdrucker. Doch schon bald hielten die ersten Computer auch im Druckergewerbe Einzug.
Der erste PC in der Firma Baer war laut Kurt Baer 1995 ein IBM-PC mit einer Kapazität von 20 Megabyte, sprich MB. Doch schon bald tauchten die ersten PCs in den Privatbüros auf. Die Leute begannen mehr und mehr, kleinere Drucksachen selber zu entwerfen und zu drucken. Nach dem Jahr 2000 wurde es immer schwieriger. Die Aufträge nahmen ab, alles sollte immer sofort geliefert werden, die Preise kamen unter Druck. Kurt Baer betrieb das Geschäft fortan als «Schweizerdegen“. «Ein Schweizerdegen ist ein Mann, der setzen und auch drucken kann.», heisst es auf der Fachseite von Typografie.info. 2019 folgte dann die Einstellung aller Druckereitätigkeiten. Die meistbesuchte deutsche Typografie-Website
Wer sich für die Geschichte der ehemaligen örtlichen Druckerei interessiert, bekommt am 13. März 2022 nochmals Gelegenheit, sich näher darüber zu informieren. Am Eingang wird man neuerdings sogar mit mechanischer Musik ab einem ganz speziellen Gerät begrüsst.