Allmacht – Macht – Ohnmacht

Allmacht – Macht – Ohnmacht

31. Mai 2019 Aus Von Annelies Seelhofer-Brunner

Ökumenische Bildungsabende 2019 Oberuzwil zum Thema Macht mit Dr. Ralph Kunz, Professor für praktische Theologie an der Universität Zürich

Schon 2008 war Ralph Kunz zu Gast in Oberuzwil zu Gast gewesen, damals mit dem Thema „Ökumene – wohin?“ aus der Warte reformierter Christen. Ökumene wohin? Im Jahr 2016 sprach der Theologe ausserdem zum Thema „Aufstieg oder Rutschbahn? Das Phänomen Alter(n)“

Diesmal befasste sich Ralph Kunz mit dem Thema MACHT unter dem Titel „Jesus predigte das Reich Gottes und gekommen ist die Kirche.“ Er begann mit der biblischen Schöpfungsgeschichte. „Am Anfang war die Erde wüst und leer“, welchen Zustand Kunz mit TOHUWABOHU umschrieb. Die Schöpfungsgeschichte zeigt Gott jedoch als Ordnungsmacht, als gestaltende Kraft. Hell und Dunkel, Tag und Nacht werden benannt. Dem Menschen wird die Verantwortung für die Schöpfung übertragen. Dass die Wörter „herrschen“ und „Hirte“ einen direkten Zusammenhang haben, ist vielleicht nicht unbedingt bekannt. Auf gute Art und Weise herrschen kann man jedoch nur, wenn man den Blick für das Ganze im Auge behält.

Feindbilder als bequeme Sündenböcke

Für viele ist der islamische Glaube schuld an allem Bösen. Doch religiöse Gewalt gibt es in allen Religionen, sogar im als besonders friedlich bekannten Buddhismus oder im Hinduismus. Die Christen denken mit Beschämung an die Kreuzzüge, den Dreissigjährigen Krieg, die Hexenverbrennungen und andere Auswüchse zurück. Und dass nach der Reformation sogar deren Gründer Täufer ertränken liessen und Ketzer verfolgten, zeugt ebenfalls von Gewalt und Allmachtsgehabe. Heute gibt es zudem fast täglich neue Berichte von sexuellem Missbrauch durch Kirchenleute, dies eine besonders perfide Machtausübung.

Es ist jedoch zu einfach, religiöse Gewalt immer nur auf einen äusseren Feind zu projizieren. Aber auch Psychologisieren hilft wenig. Heute wird die Religion meist als Privatsache angesehen. Es gibt aber auch Kreise, welche Religionen dämonisieren und finden, ohne diese ginge es der Welt viel besser. Sie berufen sich dabei auch gerne auf die Aufklärung.

Thesen von Dr. Ralph Kunz

Zäsur im christlichen Glaubensverständnis

Die Aufklärung – Zeitraum von 1720 bis ungefähr 1785 – veränderte die jahrhundertealten Traditionen. Verstand und Vernunft wurden zu wichtigen Denkmodellen. Es durfte endlich gezweifelt werden, auch an religiösen Ritualen und Vorgaben, ohne Angst vor Hölle und ewigem Feuer. Dies führt heute bei manchen zum Trugschluss, dass die Religion nun überflüssig geworden sei, da Freiheit im Denken alle Dogmen überwinden werde. Toleranz gegenüber allen Religionen und Denkarten waren allerdings während der Aufklärung wichtige Pfeiler.

Verschiedene Machtformen

Ralph Kunz stellte vier „Machtarten“ vor: die Macht des Körpers, der Seele, des Geistes sowie des Glaubens. Die stärkste Macht des Menschen ist der Lebenstrieb. Wenn die Bedürfnisse des Körpers nicht gestillt werden können, erlebt der Mensch Ohnmachtsgefühle. Die Seele ihrerseits kann krank und kraftlos werden, wenn Ängste und Zwänge überhand nehmen. Sigmund Freud hat vor hundert Jahren schon auf die „Macht des Unbewussten“ hingewiesen. Die Begriffe VERSÖHNUNG und VERGEBUNG sind in diesem Zusammenhang für eine gesunde Seele von grosser Bedeutung. https://de.wikipedia.org/wiki/Sigmund_Freud

Sigmund Freud

Die Macht des Geistes: Viktor Frankl, österreichischer Holocaust-Überlebender und Psychiater, entwickelte nach seinen schlimmen Erlebnissen in vier unterschiedlichen Konzentrationslagern die hilfreiche Logotherapie sowie die Existenzanalyse. Einen Sinn im persönlichen Leben zu sehen gehört zu den Grundpfeilern dieser Therapieformen. Heute bezeichnet man das Verarbeiten von traumatischen Erfahrungen mit dem Begriff RESILIENZ, welche eine innere Kraft beschreibt, die sich auch von widrigen äussern Umständen nicht verbiegen lässt.

Viktor Frankl

Und schliesslich ist da auch die Macht des Glaubens. Jesus hat gezeigt, wie man ohne Machtausübung gemeinsam unterwegs sein kann. Sich von ihm „erleuchten“ lassen, anstatt mit Selfies sich selber ins beste Licht stellen. Den Nächsten lieben statt ihn zu verdammen, zu verleumden oder links liegen zu lassen. Da haben aber auch Zweifel, Anfechtung und Unglaube Platz. Dietrich Bonhoeffer – auch er ein Opfer des Nationalsozialismus in Deutschland – schrieb ein zum Nachdenken anregendes Buch namens Nachfolge, in welchem er sein Glaubensverständnis aufzeigte, welches noch heute für viele Christen wegweisend ist. Nachfolge

Dietrich Bonhoeffer

Ausstrahlung ist wichtig

Es ist nicht nötig, dass immer fromme Worte ausgesprochen werden. Tätiges Tun – grad auch in der eigenen Nachbarschaft -, angetrieben von einem „feu sacré“, einem heiligen inneren Feuer kann oft mehr von Gottes Liebe zeigen. Wer meint, Schlechtes mit Gewalt austreiben zu können, irrt.

Zäsur im christlichen Glaubensverständnis

Die Aufklärung – Zeitraum von 1720 bis ungefähr 1785 – veränderte die jahrhundertealten Traditionen. Verstand und Vernunft wurden zu wichtigen Denkmodellen. Es durfte endlich gezweifelt werden, auch an religiösen Ritualen und Vorgaben, ohne Angst vor Hölle und ewigem Feuer. Dies führt heute bei manchen zum Trugschluss, dass die Religion nun überflüssig geworden sei, da Freiheit im Denken alle Dogmen überwinden werde. Toleranz gegenüber allen Religionen und Denkarten waren allerdings während der Aufklärung wichtige Pfeiler.

Zwinglis Nachfolger Heinrich Bullinger widerlegte in seiner Schrift „Helvetisches Bekenntnis“, dass nach dem Tod Hölle und Fegefeuer drohten, hatte doch Jesus versprochen, dass alle Menschen erlöst und deshalb auch frei von einem unbarmherzigen Gericht seien. (Joh. 5, 24)

Die Zehn Gebote

Ralph Kunz führte aus, wie die Geschichte von Kain und Abel ein urmenschliches Dilemma zeige. Neid und Eifersucht können die Vernunft benebeln und in Gewalt umschlagen. Die Bibel enthält viele solcher Gewaltgeschichten. Der Prophet Moses, der in aufwallender Wut einen Aufseher erschlagen hatte, erhielt mit den Gesetzestafeln eine Art „rote Linie“ für die Lebensführung, nämlich die Zehn Gebote. Es sind alles Gewalteindämmungen. „Du sollst nicht…“ Darin wird konsequenter Gewaltverzicht angemahnt. Allen Christen gemeinsam ist ausserdem das Gebet „Unser Vater“/„Vater unser“. Es führt weg von der Nabelschau auf sich selber hin zum Nächsten, zum Mitmenschen.

Diskussion

In der Diskussion kamen auch Tugenden wie DEMUT oder DANKBARKEIT, aber auch SANFTMUT zur Sprache. Mit der Bibel kann – mit aus dem Zusammenhang herausgerissenen einzelnen Versen – allerdings auch üble Gewalt ausgeübt werden. Wenn nur noch die eigene Interpretation gilt, kommt Machtausübung ins Spiel. Immer wenn die Kirche grosse Macht hatte, kam es nicht gut. Der Referent rief dazu auf, sich in der Nachbarschaft zu engagieren. Wichtig sei ein glaubwürdiges Vorleben der christlichen Werte. Vielleicht wäre eine Partnerschaft mit einer Schwesterkirche in einem Land mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten eine gute Möglichkeit, ein Engagement für Andere einzugehen, vielleicht einmal zur gleichen Zeit einen Gottesdienst zu feiern und sich so verbunden zu fühlen. Wie immer gab es nach dem Referat noch einen Apéro. Hier konnte das Gehörte noch vertieft werden.

Der Referent freute sich über die rege Diskussion und beantwortete auch diverse Fragen. Zum Schluss gab es für Ralph Kunz feine Praliné-Pflastersteine.

Der zweite Bildungsabend vom 4. Juni 2019 beleuchtet das Machtverhältnis zwischen den Geschlechtern.