Auf Weltreise mit Akkordeon und Geige
Immer wieder lädt die Donnerstags-Gesellschaft Oberuzwil zu hochstehenden Anlässen ein. Diesmal war ein ganz besonderer Hochgenuss in der dafür akustisch hervorragend geeigneten evangelischen Kirche Oberuzwil zu erleben. Ein Konzert mit der Geigerin Nina Ulli und dem Akkordeon-Virtuosen Goran Kovačević stand auf dem Abendprogramm. Das Publikum kam in Scharen.
Musikfans bot sich vor Beginn des Konzerts diese Szene: Mitten im Chorraum – der Altartisch war vorher von Mesmer Michael Forrer sorgfältig beiseite gerollt worden – standen zwei Stühle einander schräg gegenüber. Dazu ein kleines Ständerchen, zu klein für Notenblätter, aber gerade gross genug, um darauf ein Tablet zu stellen. Am Boden davor ein kleines Kästchen als «Schaltstelle» für dieses elektronische Gerät. Weit und breit keine Kabel, keine riesige Tonanlage. Wie wohltuend, wenn man dies mit dem riesigen «Equipment» manch moderner Bands vergleicht! Ohrstöpsel konnten deshalb in der Handtasche bleiben.
Akkordeon trifft Geige
Mit grossem Applaus wurde das Künstlerduo begrüsst. Thomas Hofstetter als «Anlass-Götti» hatte vorgängig bereits einen Hochgenuss versprochen. Und das absolut zu Recht! Schon das erste Stück zeigte die ganze Bandbreite der Möglichkeiten auf den zwei so unterschiedlichen Instrumenten. Es begann mit einem Zwiegespräch zwischen Geige und Akkordeon. «Pola-Pola» heisse dieses Werk, was so viel wie «Halbe-Halbe» bedeute, erklärte Goran Kovačević nach seiner Begrüssung. Mit erhellenden Hinweisen zum jeweiligen Stück wechselten sich die beiden ab.
Musik aus vielen Teilen der Welt
Die beiden Künstlerpersönlichkeiten haben ihre Wurzeln in der klassischen Musik. Sie lieben es aber auch, alle möglichen kulturbedingten Einflüsse in ihr Spiel zu integrieren. Kovačević hat einen grossen Bezug zur Balkanmusik. Aber auch die reiche musikalische Ausdrucksweise der Fahrenden inspiriert ihn. Und so nahmen die beiden das Publikum auf eine Reise über verschiedene Länder und Kontinente mit. Der ungarische Komponist und Pianist Béla Bartók (1881-1945) sammelte zu seiner Zeit – als Musikethnologe – musikalisches Volksgut seiner Heimat. Mit dessen «Gipsy Party» liess Kovačević erst einmal sein Instrument in verschiedenen emotionalen Ausdrucksformen erklingen, unverstellt, innig und berührend. Im zweiten Teil kam die Geige dazu, es gab fugenartige Teile bis zum feinsten Pianissimo ausklingend – bis ein rasanter Schlussteil wieder die Lebensgeister weckte.
In Wien hatte der jüdische Komponist und Geigenvirtuose Fritz Kreisler (1875 – 1962) die Menschen begeistert. Ulli und Kovačević spielten zwei Stücke aus den «Alt-Wiener Tanzweisen», nämlich «Liebesleid» und «Schön Rosmarin». Die Geigerin beeindruckte auch da mit ihrem klaren Bogenstrich und ihrer eleganten Körperhaltung, während der Akkordeonist mit seinem Instrument sichtlich verschmolz. Die Nähe zum Balkan war in den melancholischen Passagen gut spürbar. In den Gesichtern der zwei Musizierenden war auch immer wieder die Freude am gemeinsamen Tun abzulesen. Überhaupt beeindruckte der nonverbale Austausch nur über die Augen. So konnte es vorkommen, dass die Geigerin offensichtlich Gefallen an einem Thema gefunden hatte und dieses noch und noch wiederholte, bis Kovačević mit einem lächelnden Blick zum Abschluss aufforderte. Überhaupt diese Abschlüsse! Da wurde beispielsweise ein Bogenmanöver mit einem effektvollen Schwung derart abrupt beendet, dass man Angst um die Saiten haben musste. Oder man wartete ein Weilchen auf den letzten Ton, weil es einfach so schön war!
Flinke Finger auf Geige und Akkordeon, Finger, die immer die richtigen Töne in die Herzen des Publikums fanden.
Humor kam nicht zu kurz
Bei der «Sérenade Tzigane» von Georges Boulanger – ursprünglich 1893 als Gheorghe Pantazi in Tulcea geboren und 1958 in Argentinien verstorben – einem Geiger, Komponisten und Dirigenten, begann ein atemloses Spiel mit einer Art Zwiegespräch zwischen den beiden Instrumenten. Gebannt schaute man auf die flinken Finger der Violonistin, die mit Griffen bis hin nahe am Steg auch die allerhöchsten Töne zart und mit sichtlicher Freude herauskitzelte. Die Melodie schien ihr einfach aus den Fingern zu fliessen, Noten sah man keine, dafür eine stolze, aufrechte Haltung, die die Schönheit der Melodien noch unterstrich. Und immer wieder lächelten, ja lachten sich die beiden Musizierenden schelmisch zu…
Man bewunderte gleichzeitig die verschiedenen spieltechnischen Möglichkeiten des grossen, sehr schönen Akkordeons von Kovačević und staunte über dessen Klangmöglichkeiten. In der Kirche war es jeweils mucksmäuschenstill, bis der letzte Ton verklungen war. Bei dieser Serenade fehlte der letzte Ton allerdings, obwohl vermutlich viele im Kirchenraum diesen hätten singen können. Es war einfach «ein Tönchen vorher» Schluss. Viele schmunzelten über diese Überraschung. Darauf brach ein Riesenjubel samt Rufen aus verschiedenen Ecken der Kirche los. Und das passierte immer wieder. Damit der Applaus ja nicht zu früh einsetze, hielten die beiden Musizierenden die Energie noch sichtbar etwas fest, bis man spürte, dass jetzt Zeit für einen akustischen Kommentar wäre.
Ein ganz besonderes Wiegenlied
Die Zwei spielten auch ein armenisches Wiegenlied. Dieses Volk hatte einen traurigen Völkermord durch die Osmanen erleben müssen. Es heisst, dass die als Kleinkinder gehörten Wiegenlieder später mehrmals zur Rückführung verschleppter armenischer Kinder verholfen hätten. Bis heute gibt es dort politische Spannungen, besonders mit Aserbaidschan.
In der Kirche wehte zu Beginn dieses Stücks erst einmal der Wind, einzig verursacht durch das Ein- und Ausziehen des Akkordeonbalgs. Vor dem inneren Auge war dies wie das Hin- und Herwiegen eines riesigen Ährenfeldes. Die Geige stimmte ganz fein ein. Doch dann klopfte der Mann am Akkordeon plötzlich laut und rhythmisch auf den Instrumentenkörper. Ob das nochmals ein Weckruf sein sollte? Das etwas aufmüpfig tönende Klopfen löste sich glücklicherweise etwas später in einem verklingenden Wehen des Akkordeons und feinen Geigentönen auf, bis hin zur gänzlichen Stille, nach einer kurzen Pause vom Publikum andächtig gewürdigt.
Auch eine Eigenkomposition Kovačevićs – BALKANSA DUŠA – stand auf dem Programm. Da konnte man die Seele des Balkans so richtig spüren. Man erlebte einen wilden Ritt auf der Geige, ein virtuoses Akkordeonspiel mit vielen Wiederholungen und einen fulminanten Schluss. Dazu gab es ein Medley aus Filmmusik, eine «Zigeunerreise», in welcher sowohl die Geige als auch das Akkordeon gezupfte Sequenzen spielte, auch optisch ein Genuss! Nicht vergessen werden darf die Klezmer-Suite, die mit spannenden Unterbrüchen und sehr melodiösen Zwischenteilen und einer Art Ton-Duell die ganze Schwere, aber auch Hoffnung jüdischer Kultur hörbar machte.
Kaltstart beim ersten Auftritt des Duos
Vor dem letzten Stück erzählte Nina Ulli in kurzen Zügen, wie sie Akkordeonist Goran Kovačević kennengelernt habe. Es tönte fast wie ein Märchen. Sie hatte damals das Organisations-Team eines Musikanlasses unterstützt, aber auch – wie immer! –ihre Geige dabei. Der Veranstalter entdeckte das und fand ganz spontan, das wäre doch eine tolle Idee, wenn sie mit Kovačević zusammen etwas spielen würde. Allerdings hatten die beiden einander bisher noch nie gesehen. Etwas zögerlich ging darauf ein Fragen los. «Was spielst du denn so? Welche Stücke sind in deinem Repertoire»? Die Instrumente waren noch nicht ausgepackt, als sie sich bereits auf einen bekannten Csàrdas geeinigt hatten.
Nun wäre so ein bisschen instrumentale Annäherung vor einem allfälligen Auftritt schon noch recht angenehm gewesen. Doch nix da! Als die Geigerin nämlich auf die Bühne spienzelte, um zu sehen, wie weit denn das Programm schon fortgeschritten sei, hörte sie bereits die höchst erstaunliche Ankündigung: «Sie hören jetzt den berühmten «Csàrdas» von Vittorio Monti» mit Nina Ulli und Goran Kovačević». Da blieb nichts anderes übrig als auf die Bühne zu hetzen und einfach loszuspielen. Und weil das so gut geklappt habe, würden sie auch seither nie zusammen üben… Wer’s glaubt!
Unterdessen sind sie bereits seit zwölf Jahren immer mal wieder gemeinsam musikalisch unterwegs. Und den besagten Csàrdas bekam das Publikum als Abschluss des offiziellen Programms selbstverständlich ebenfalls noch zu hören. Nun wippten überall Füsse, die Zuhörerschaft folgte gebannt den atemberaubenden Läufen der Violine, dem Tanz auf dem Akkordeon, bis nach dessen Schluss ein gewaltiger Applaus durch die Kirche brandete, von einer «Standing Ovation» unterstrichen.
«Wollt ihr noch mehr?» fragte Ulli schelmisch. Ein vielstimmiges «Ja» brauste durch das Kirchenschiff. «Wir haben dort auch CDs!», rief die Musikerin. Grosses Gelächter! Aber natürlich gab es noch Zugaben.
Nina Ulli
Die Webseite von Nina Ulli enthüllt spannende Facetten ihres Werdeganges und ihrer Motivation, Menschen – vor allem auch vielen Kindern bereits in ganz jungem Alter – dieses edle Instrument näher zu bringen. Sie lehrt nach der Suzuki-Methode, auch «Muttersprachen-Methode» genannt. Damit können bereits Kinder von 3 ½ Jahren unterrichtet werden. Laut eigenen Worten versteht sie sich als Brücke «zur Seele von Kindern, Senioren, Feiernden, Trauernden». Im kommenden Sommer eröffnet sie zudem ihre eigene Musikschule, die sie SwissMusiKids getauft hat. Mit im Boot sind auch andere Lehrkräfte. Dass eine musikalische Ausbildung eine positive Auswirkung auf den schulischen Erfolg hat, ist in vielen Untersuchungen bewiesen worden. Nina Ulli ist vielfältig ausgebildet, liebt es, im musikalischen Wirken immer wieder Grenzen – Landesgrenzen, Genre-Grenzen, kulturelle Gegensätze – zu überwinden. Sie ist auch als gefragte – klassische – Solistin im In- und Ausland unterwegs.
Goran Kovačević
Der Schaffhauser Akkordeonist Goran Kovačević ist seit frühester Jugend ein grosser Verehrer des so vielseitig einsetzbaren Akkordeons. Er hat es von der Pike auf gelernt, erst von seiner Mutter, danach in langjähriger Ausbildung und mit vielen Meisterkursen verfeinert und ist heute sicher einer der bekanntesten Musiker auf diesem Instrument. Seit 1999 ist er Professor für Akkordeon am Vorarlberger Konservatorium Feldkirch. Seine musikalischen Interessen sind breitgefächert. Herkunftsbedingt liegt ihm Balkanmusik im Blut, was er beispielsweise mit seinem DUŠA ORCHESTRA – übersetzt «Seelenmusik» – seit Jahren beweist. Aber auch die Musik der Fahrenden, Wiener Musik, solche aus Argentinien – vor allem solche von Astor Piazolla – oder Klezmer-Musik gehört zum Repertoire des Künstlers. Auch in Oberuzwil waren zwei Stücke von Piazolla zu geniessen – Oblivion und Libertango. Er spielt aber auch mit Appenzeller Musikformationen zusammen, sprengt auch hier gerne die traditionellen Grenzen. Nicht vergessen werden darf die klassische Musik, die den Boden für all diese Stilrichtungen gelegt hat.
Kovačević liebt es, auch Kinder bei Projekten einzubeziehen, wie beispielsweise 2021 an der HPS Flawil bei einem Tanzprojekt. Mehr dazu hier – Elfen, Trolle, Einhörner: Ein Tanz- und Klangprojekt an der HPS Flawil