Baselbieter «Schangsongs» mit Florian Schneider in der Alten Gerbi Oberuzwil
In letzter Zeit wird man in Oberuzwil mit kulturellen Höhepunkten geradezu verwöhnt. Gerade auch das Kulturlokal „Alti Gerbi“ mitten im Dorf hat sich zu einem richtigen «Hotspot» für hochkarätige Angebote entwickelt. So hatte im Oktober der bekannte italienische Sänger, Liedermacher und Autor Pippo Pollina das Publikum in dem bis auf den letzten Platz besetzten Gerbi-Lokal begeistert. Ende November gab sich der als Leiter von Gospelchören bekannte Basler Bo Katzman zusammen mit Tochter Ronja die Ehre. Dieser Auftritt wurde zu einer Art heimeliger «Stobete». Und nun also Florian Schneider, erneut aus dem westlichsten Zipfel der Schweiz.
Ein eingespieltes Trio
Florian Schneider stand mit seiner Gitarre allerdings nicht allein auf der Bühne. Er hatte zwei langjährige musikalische Begleiter und Freunde mitgebracht.
Roman Bislin-Wild, Jahrgang 1970, ist in der Region als Kirchenmusiker und Komponist von Chorwerken für Kirchenchöre bekannt, aber auch als einfühlsamer Pianist bei verschiedensten Auftritten im kirchlichen Umfeld. Doch der Mann kann sich gut auch mal als Barpianist oder Jazzer betätigen. Zum unvergesslichen Auftritt in Oberuzwil gehörte aber auch der virtuose Geiger Adam Taubitz.
Die zwei Männer hielten sich eher im Hintergrund, liessen ihre Instrumente sprechen. Zu den «Schangsongs» lieferten sie immer genau den richtigen «Unterbau». Die Geige, von Meister Taubitz geschmeidig, mit einem sehr differenzierten Strich gespielt, machte mehr als einmal einen besinnlichen Schluss, indem sie sich in allerhöchste Tonhöhen aufschwang und den Ton dort ausklingen liess. Und Roman Bislin-Wild füllte mit seinem vieltönigen Instrument die Bühne. Hie und da gab es kleine Solistenstellen, nur die zwei Instrumente. Man hätte sofort dazu tanzen wollen…
Florian Schneider, eine «Wundertüte» aus Baselland
Wer die Webseite des vielseitigen Mannes etwas näher studiert, kommt richtig ins Staunen. Das Werk würde für 100 Jahre Tätigkeit ausreichen, dabei hat der Mann doch erst Jahrgang 1959. In der Ostschweiz hat man bestimmt sein Engagement als «Phantom of the Opera» mitbekommen. 500x stand er damit auf der Basler Bühne. Dies macht jedoch nur einen kleinen Teil seiner künstlerischen Arbeit aus. 2005-2008 stand er beispielsweise als «Alp-Öhi» auf der Walensee-Bühne. Nach einer Ausbildung zum Pädagogen hatte er klassischen Operngesang studiert. Doch begann ihn irgendwann auch das Singen von rockigerer Musik zu interessieren. Zu seinen schönsten Erfahrungen gehöre die Zusammenarbeit mit dem Künstler Rolf Knie, der 2019 die Geschichte der Knie-Dynastie in einem Musical auf die Bühne gebracht habe, schreibt er in seiner Biografie. Immer gehörten Theater und Gesang für ihn zusammen. Dazu schreibt er seit Jahren Mundart-Kolumnen oder tritt an der Basler Fasnacht als Schnitzelbänkler auf. Ein richtiger Tausendsassa also!
Zudem liebt Schneider seit jeher alte Geschichten aus seiner Baselbieter Heimat. Dass diese Leute damals eher eine derbe Ausdrucksweise benutzten, hörte man aus verschiedenen seiner Lieder und Geschichten. Sie erzählen von schwierigen Zeiten, schlechten Wohnverhältnissen und kleinen Flunkereien. Schneider ist in seiner Mundart zuhause, brachte damit einen neuen Klang in die Ostschweiz.
Schangsongs – seine Leidenschaft
«Schangsong» ist unschwer als die Baselbieter Variante des französischen Worts «Chanson» für «Lied» zu erkennen. Schneider hat 2002 rund 30 solcher Dialekttexte geschrieben, von ihm «Schangsongs» genannt. Der Komponist Urs Rudin vertonte diese. Und genau dieser Urs Rudin kann am 18. September 2025 auf Einladung der Donnerstags-Gesellschaft Oberuzwil auch in Oberuzwil im Singsaal des OZ Schützengarten in Oberuzwil mit seinem Programm «Sandphonie» erlebt werden.
Florian Schneider hört sich an wie eine einzige «Geschichtenkiste». Das war auch in Oberuzwil zu spüren. So wies er seinen Geiger Taubitz an, ihn an die Zeit zu erinnern, sollte er sich mal wieder in Geschichten verlieren. Aber wie stoppt man einen Mann wie Schneider, wenn der in Fahrt kommt? Und in Fahrt kam er immer wieder. Doch das Publikum hing an seinen Lippen, hörte ihm gerne und atemlos zu, keine Spur von Langeweile.
Von Geige und Piano umschmeichelte Lieder
Nein, Florian Schneider stand nicht einfach mit der Gitarre auf der Bühne und sang seine «Schangsongs». Er setzte sich auf einen Hocker, verliess diesen mal wieder, erzählte etwas, kam wieder vorne an die Bühne und sang weiter.
Dazwischen stellte er sich an das Rednerpültli vor der Bühne, zog ein Heft hervor und machte einen Ausflug in die hinteren Täler des Basellandes. Dort gibt es offenbar ein «Fünflibertal». Dort gab es damals – und vielleicht noch heute – aber auch Wiesen voller Mäuse, die Schang mit Karbid erledigte. Allerdings musste er die durchlöcherten, mit Karbid gefüllten Büchsli auch «anbrünzeln», damit das Karbid seine Wirkung entfalte. Sobald es da und dort «herausräuchelte», mussten diese sichtbaren Ausgänge sofort verstopft werden.
Doch dann kam das Beste. Mäuse herausbuddeln, Schwänze abschneiden, auf die Gemeinde bringen und damit das Fräulein im Amt erschrecken! Es gab gutes Geld für diese Schwänze. Und weil das Fräulein einen Riesenekel vor diesen Dingern hatte, warf es diese nach dem Geschäft in den Kehrichtkübel hinter dem Gemeindehaus. Schang jedoch, nicht dumm, fischte diese spätabends wieder heimlich heraus und brachte sie anderntags erneut auf die Gemeinde. Mit dem Geld durfte der Bub Marylong kaufen, war schliesslich bereits mehr als zehn Jahre alt… Falls die Geschichte nicht stimmen sollte, so ist sie doch sehr gut erfunden.
Antikes Sperrgut
Am Pult hörte das Publikum atemlos der Schilderung seiner mit antiken Möbeln vollgestopften Wohnung zuhause zu. Alle Tanten und Verwandten hätten Antiquitäten vererbt. Und lernte der junge Mann schon bald, dass man mit solchen Möbeln Geld machen könne. Kaum das «Billett» im Sack, fuhr er immer wieder alle Sperrmüllrouten in der Stadt ab und kam mit reicher Beute nach Hause. Eine Kundin wünschte sich einen Sekretär mit vielen Schublädli, aus schönem Holz, am liebsten Kirschbaum- oder Nussbaumholz. Sie zahle jeden Preis. Zufälligerweise hatte der Bursche grad irgendwo im hintersten Basellandwinkel so ein Möbel gesehen . Also nichts wie los nach «Bräzbel» – Bretzwil im Waldenburgertal – und dort nachsehen.
Und siehe da! Er bot dem Bauern für das schöne Stück 50 Franken. Der machte grosse Augen. «Was, so viel?» Ja, was er denn mit dem alten Stück machen wolle? «Vielleicht Brennholz…», war die Antwort, während er im Hinterkopf schon den Gewinn ausrechnete. Der Bauer wollte dem jungen Kerl liebenswürdigerweise etwas Arbeit abnehmen und übergab ihm das Holz in zwei Säcken. So passe es doch zum Einfeuern. Mit grossem Gelächter und riesigem Applaus verdankte das Publikum diese und weitere humorvolle Geschichten.
Besinnliche Töne voller Empathie
Florian Schneider verreist gerne mit seiner Freundin. So machte er sich auch einmal nach Mexiko auf. Dabei stiess er auf den «Weg der sterbenden Träume». Er schilderte nun, wie junge Burschen und Männer, seit Wochen unterwegs, ohne jegliches Gepäck, sich auf den Weg Richtung USA gemacht hätten. Die Füsse wund, die Gesichter alt, kaum noch ein Funken Hoffnung zu sehen. Alle wollten zum Bahnhof gelangen, von welchem aus der Zug «La Bestia» die 2500 km bis zur Grenze fährt. Auf dem Weg erfuhren sie immer wieder Solidarität durch hilfsbereite Menschen. Aber lange nicht alle schafften es bis zu diesem Ort.
Auf gegen Norden!
Schneider sang dazu ein Lied aus der Sicht eines Flüchtlings. «Vater, ich hoffe, das Sterben treffe nicht mich.» Zu fünft waren sie losgezogen. Piano und Geige schufen dazu genau die richtige Stimmung. Man meinte Kirchenglocken zu hören, erfuhr, dass Diego nicht mehr erwacht sei. Taubitz, diesmal an der Gitarre, spielte sich in ein richtiges Trommelfeuer. Endlich erreichten die verbliebenen Freunde den Zug. Doch da mussten sie im Geheimen aufs gefährliche Dach, sich gut festhalten, weiter hoffen. Plötzlich stürzte Louis vom Zug herunter. Am Schluss blieb nur noch der eingangs erwähnte Flüchtling übrig.
Die Geschichte ging ans Herz, gerade auch deshalb, weil man weiss, dass es auf diesen Fluchtrouten genau so zu- und hergeht. In diesen Tagen wird es für diese Menschen noch viel schwieriger werden, über die Grenze in die USA zu kommen. Der Traum lebt noch immer, bleibt aber für viele ein Traum, wird für viele sogar zu einem Alptraum.
Weg als Sänger schon vorgezeichnet
Auf humorvolle Art sinnierte Florian Schneider auch über seine Beziehung zu Bühne, Gesang und Schauspiel. Früh hat ihn der Theatervirus erfasst, ja infiziert. Weil im Dreikönigsspiel in der Schule niemand den Soldaten spielen wollte, sah er seine Chance gekommen. Gestenreich führte er aus, wie er sich ins Zeug gelegt, mit einem gekochten Randenschnitz hinter den Zähnen aufgetreten sei, um später für alle sichtbar schwer verwundet zu Boden gehen zu können. Wie alles, was der «Schangsonier» erzählte, konnte man sich auch da jede kleinste Szene plastisch vorstellen.
Mit grossem Applaus wurde das Trio gefeiert. Mit „I ha nen Schatz gha under em Chirsibaum“ verdankten sie diesen – und ernteten nochmals einen Beifallssturm.
Kulturkommissionspräsident Fredy Willi bedankte sich nach dem Konzert sichtlich berührt für den spannenden, interessanten und zum Denken anregenden Abend.
Florian Schneider hatte sich unterdessen zum Bücher- und CD-Tisch begeben und begann fleissig, sein Buch «Chröt im Haber & Chrähien im Chorn» zu signieren. In diesem kleinformatigen Werk können Texte, die man am Konzert möglicherweise nicht Wort für Wort verstanden hat, noch einmal nachgelesen werden. Das Buch kam 2022 im Verlag Schaub Medien AG, Sissach heraus. Warum nicht mal Baselbieter Deutsch studieren?
Nächster Anlass in der Alten Gerbi Oberuzwil: Samstag, 26. April 2025 –Konzert mit der Schwyzer Sängerin Linda Elys