Chorreise nach Ungarn vom 1. – 7. Oktober 1999
Männerchor Bichwil-Riggenschwil
Reiseroute
- Freitag, 1. Oktober: Bichwil-Wien-Hegyeshalom-Györ-Komàrom-Tàt, Hotel Öreghalàsz
- Samstag, 2. Oktober: Tàt-Budapest- Miskolc-Tokaj-Màtészalka-Cenger, Hotel Schuster und Hotel Pension
- Sonntag, 3. Oktober: Ausflug nach und Gottesdienst in Tisztaberek, Rückkehr ins Hotel vom Samstag
- Montag, 4. Oktober: Hortobagy-Tisztafüred-Eger, Hotel Panorama
- Dienstag, 5. Oktober: Budapest, Weiterfahrt nach Tàt ins gleiche Hotel wie am Freitag
- Mittwoch, 6. Oktober: Donauknie: Szentendre-Visegràd-Esztergom-Sopron, wunderbares Hotel Pannonia
- Donnerstag, 7. Oktober: Rückkehr nach Bichwil
Gesang verbindet Völker und Herzen – weit über alle Landesgrenzen hinaus
Wie kommt es, dass ein kleiner Chor wie der Männerchor Bichwil-Riggenschwil mit seinen gut zwanzig Mitgliedern in den äussersten Osten Ungarns eingeladen wird? Hier sei das Geheimnis gelüftet: Im Jahr vor der Reise – 1998 also – fand am ersten Oktobersonntag in Bichwil ein ökumenischer Erntedankgottesdienst statt. Unter den Gästen befand sich auch ein ungarischer Pfarrherr, ein guter Bekannter des Oberuzwiler Pfarrers Daniel Habegger. In dieser Feier war der Männerchor Bichwil-Riggenschwil für den musikalischen Teil besorgt. Dieser sang sich in das Herz des ungarischen Pfarrers, Joszef Sücs. Im fernen Ungarn keimte die Idee, den Chor in das kleine, 600-Seelen zählende Dorf im Grenzland zur Ukraine einzuladen, bauten sie dort doch gerade unter grosser Mithilfe der nicht eben reichen Bevölkerung ein neues Kirchgemeindehaus.
So traf denn über Pfarrer Habegger Mitte Januar des laufenden Jahres eine Einladung aus Tisztaberek ein. Voll Freude überbrachte die Dirigentin diese den überraschten Männern. Die Idee nahm Gestalt an, und schon bald konnte die Zusage des Chors nach Ungarn übermittelt werden. Dank guten Beziehungen einiger Männerchörler zu einem ungarisch-schweizerischen Doppelbürger aus Oberuzwil entstand ein interessantes, kulturell angereichertes Reiseprogramm. Nach Ablauf der Anmeldefrist standen fast 50 Namen auf der Namensliste, weil auch Ehefrauen und Freunde des Chors eingeladen worden waren.
Am 1. Oktober 1999, morgens um viertel vor 5 Uhr – es war noch so dunkel, dass man die eintreffenden Reisenden nur an der Stimme erkennen konnte – begann die Reise in Bichwil. Otto Büchi hatte mit dem PC ein sehr schönes Reiseprogramm und eine vollständige Teilnehmerliste gestaltet. So konnten sich alle jederzeit über vorgesehene Ortschaften und Essenszeiten informieren. Als Chauffeur hatte sich einmal mehr der Sänger Ruedi Hug bereit erklärt. Er wurde abgelöst von Christian Ramsauer, Reiseunternehmer aus Herisau, welcher mit einem seiner topmodernen Cars angerückt war.
Anfänglich waren nur vereinzelte Gespräche zu hören. Doch schon bald kam Stimmung auf. Es sollte eine lange Reise werden, denn die ungarischen Grenzbeamten schienen keine grosse Lust zu haben, die Schweizer abzufertigen. So konnte beobachtet werden, dass etwa ein verstecktes Nötli im zugeklappten Pass den Eintritt in ihr Land erheblich beschleunigte. Schliesslich half aber auch Coca-Cola. Mit allergrimmigster Miene kontrollierte ein junger Beamter die Ausweispapiere, man spürte, dass ihn die Arbeit anwiderte . Nach einer Stunde Wartezeit konnte die Fahrt endlich weitergeführt werden. Recht verspätet traf der Bus in Tàt (Nähe Budapest) ein. Ein schon recht nervöser Otto Panczel mit seiner Frau Annelies erwartete die müden Reisenden. Die riesigen Portionen (die als halbe Portionen galten!) auf den flugs aufgetragenen Platten verschlugen einigen trotz grossem Hunger fast den Appetit.
Am zweiten Tag stand die Gegend Tokaj auf dem Programm. Riesige Weinberge, meist topfeben oder dann sachte ansteigend, dazwischen riesengrosse Feldflächen, manchmal noch nicht abgeerntet, zogen vor den Fenstern vorbei. Je weiter die Reise nach Osten ging, desto schöner wurde das Wetter. Um nicht mit leeren Händen an die Einweihungsfeier kommen zu müssen, veranstaltete Ernst Preisig, Präsident der reisenden Sänger, eine Kollekte im Car. Alle waren grosszügig gestimmt, es kamen 1100.- Franken zusammen.
Am Zielort Tisztaberek (gesprochen: Tistabäräk) gab es keine Möglichkeit, eine fast fünfzigfache Gesellschaft unterzubringen. Die Reiseleitung hatte deshalb in Cenger, gut 20 km vom Festort entfernt, Unterkunft gesucht. Leider bot das neue, schmucke Hotel Schuster nicht Platz für alle, so dass ein Teil der Gesellschaft in einer schäbigen Absteige unterkommen musste.
Nach dem feinen Nachtessen holten Hans und Otto ihre Handorgeln hervor, und es begann ein tolles Gesangsfest. Immer neue Lieder wurden angestimmt, und plötzlich tauchten auch die Gäste des weniger feinen Hauses auf und sangen mit. Im Hotel erhielt die Dirigentin einen Anruf von Pfarrer Habegger, der mit seiner Frau an den Einweihungsfeierlichkeiten teilnehmen sollte. Er teilte ihr mit, dass der feierliche Gottesdienst vom Fernsehen übertragen werde. Diese Nachricht löste bei manchem Männerchörler nur ein mitleidiges Lächeln aus. Man wollte es einfach nicht glauben!
Am Montag begann nun eine kulturelle Bildungsreise, von Otto und Annelies Panczel mit grosser Sorgfalt ausgesucht, die viele Facetten des geschichtsträchtigen Landes zeigte. Mittags warteten in einer kühlen Csàrda eine vierköpfige Zigeunerkapelle und ein ungarisches Nationalgericht auf hungrige Mäuler. Danach gab es mit Planwagen einen Ausflug in die Puszta, über Stock und Stein, durch Pfützen, vorbei an sich wohlig suhlenden Wollschweinen und Kühen mit spitzen Hörnern, welche wie gedrechselte Dolche aussahen.
Heiss brannte die Sonne, ein Sonnenhut tat not. Ein Reiter führte weit draussen auf dem Feld die Ungarische Post vor (linkes Bein auf linkem Pferd, rechtes Bein auf rechtem Pferd, stehend und im Galopp). Einige Männerchörler – und natürlich Heidi, die pferdeversessene junge Frau von Stefan – stiegen nun ebenfalls auf einen Pferderücken und drehten – mit oder ohne professionelle Hilfe – eine oder zwei Runden um die Ausflügler. Leider gab es keine weidenden Pferdeherden zu sehen. In den grosszügigen Pferdestallungen am Ende der Reise in die schier unendliche Weite kamen die Pferdefreunde indes doch noch auf ihre Rechnung. Das Gestüt zählt so um 300 Pferde, eine beeindruckende Zahl.
Budapest ist eine wunderschöne Stadt, durch die Donau in die Teile Buda und Pest geteilt. Eine Reise dorthin lohnt sich auf jeden Fall. Otto hatte einen ihm bekannten Stadtführer angeheuert, welcher auf charmante Art auf einer mehrstündigen Fahrt durch die Stadt die wechselvolle Geschichte der Stadt und des Staates Ungarn in seine Ausführungen einbezog. Es war eine lehrreiche Reise. In den städtischen Markthallen wäre dem Chor noch beinahe ein Sänger abhandengekommen. Werner war in derart guter Festlaune, noch dazu mit seinem „Brotkorb“ (was das sein soll, wird im Bericht über den Sonntag zu lesen sein!) auf dem Kopf, und er sang aus Leibeskräften, durch einen Zwischengang zum vereinbarten Sammelpunkt marschierend. Plötzlich zupfte ihn ein strammer junger, dazu uniformierter Mann (Polizei!) nicht eben sanft am Ärmel. Solches Tun ist in diesen Hallen eben nicht erlaubt. Der Mann könnte ja am hellen Morgen schon betrunken sein!
Am Mittwoch, in Szentendre, konnten nun endlich die eingetauschten Forints nach Herzenslust ausgegeben werden, sei es für allgegenwärtige, meist kunstvoll bestickte Tischtücher oder natürlich für Schnaps oder Wein. Die verwinkelten Gässchen verhinderten allerdings die sonst immer so pünktliche Weiterfahrt, weil hier alle Strassen wirklich beinahe gleich aussahen.
Das nächste Ziel war Esztergom mit seiner riesigen Kathedrale. Die Kuppel ist innen fast hundert Meter hoch. Man kommt sich hier ganz klein und winzig vor. Da sind sowohl die Bichwiler als auch die Oberuzwiler Kirchen doch viel heimeliger. Auf dem Boden unter der Kuppel liegt ein riesiges Mosaik aus Marmor, eindrucksvoll und ehrfurchtgebietend. Anschliessend an den Kirchenraum folgen Räumlichkeiten, welche alte Kirchenfürstengewänder zeigen. Da finden sich wahre Schätze der Handarbeitskunst sowohl im textilen wie auch im metallverarbeitenden Bereich.
Nach dem Mittagessen wartete ein hartnäckiger, nach Schnaps riechender Bettler auf barmherzige Spender. Er folgte jeder neu ankommenden Person bis zum Car. Werner legte ihm seine Portion Konfitüre vom Morgenessen in die dargestreckte Hand. Dann stieg er ein. Wenig später kam Werners Sohn Heinz aus dem Hotel. Auch ihm träppelte der bedauernswerte Mann entgegen. Heinz dachte: „Aha, der Mann verkauft Konfitüre!“, nahm das Portiönchen aus dessen Hand und legte dafür ein Geldstück hinein. Schliesslich landete auch die Konfitüre wieder beim Bettler. Erst gespannt beobachtend, dann in lautes Gelächter ausbrechend, hatten die bereits im Bus sitzenden Reisenden dem Schauspiel zugesehen. Diese Episode gab Stoff für manche Spöttelei auf der Weiterreise. Werner hatte zudem seinen Sommerhut (aus Tisztaberek) im Hotel Esztergom vergessen und weinte ihm manche Träne nach. Er wusste zu der Zeit noch nicht, dass Marianne diesen heimlich mitgenommen hatte. Irgendwann später erhielt er sein Andenken erfreut zurück. Er werde jetzt mit diesem „Brotkörbchen“ jeweils den Rasen mähen und dabei an die schöne Reise denken, liess er verlauten.
Für den letzten Abend in Ungarn hatte Otto ein Nobelhotel in Sopron gebucht. Man traute sich kaum, laut zu reden, so vornehm waren die langen Tischreihen – U-förmig angeordnet – gedeckt. Die Kronleuchter glitzerten. Die Zimmer waren eigentliche Säle. Auch Essen und Nahrungsmenge entsprach dem hohen Standard. Es war ein wundervoller Abschluss einer interessanten, das Gemüt erfreuenden Reise.
Am Donnerstag, 7. Oktober, erfolgte die Rückreise über Wien – München ohne Verkehrsprobleme. Auch die Zollabfertigungen verursachten diesmal keine roten Köpfe. Voll neuer Eindrücke wurde Bichwil erreicht. Alle waren sich einig, eine einmalige Woche erlebt zu haben. Wesentlichen Anteil daran hatten natürlich die Reiseplaner, allen voran Otto und Annelies Panczel, dann die Vorbereitungsgruppe aus dem Männerchor und natürlich die beiden ausgezeichneten Chauffeure Christian und Ruedi.
2. Teil des Berichtes der Ungarnreise des Männerchors Bichwil-Riggenschwil
Sogar das Fernsehen war dabei…
Sonntagmorgen, Aufbruch nach Tisztaberek! Mit weissen Hemden, dunklen Hosen und blauen Samtbändeln um den Hals sahen die Männer wirklich fernsehtauglich aus. Die Strassen wurden nun im Grenzgebiet Rumänien -Ukraine – Ungarn immer enger. Zum Glück verstanden beide Chauffeure ihr Handwerk, so dass niemand grosse Angst haben musste. – Plötzlich winkten am Strassenrand erfreute und aufgeregte Männer und Frauen. Tisztaberek! Es war bereits sommerlich heiss. Nach dem Aussteigen wurde sofort in der noch kühlen Kirche eingesungen. Das etwas angejahrte Harmonium wimmerte erst kläglich und wollte keinen eindeutigen Ton abgeben.
Nach dieser Sängerpflicht durfte im Hof der Pfarrliegenschaft Tokajer und ungarisches Gebäck in rauen Mengen gekostet werden. Erst gerade vom Morgenessen gekommen, bereitete das vor allem den Frauen erhebliche Mühe, wenn auch alles wunderschön gedeckt war und ausgesprochen anmächelig präsentiert wurde. Hinter dem Pfarrhaus, in einer Art Schopf, bereiteten fleissige Frauen das Mittagessen vor. In riesigen Kesseln und Schüsseln schwammen Hühnerteile in Gemüseschwaden, Fettaugen blickten die neugierigen Frauen und Männer aus der Schweiz an. Junge Frauen mit guten Deutschkenntnissen – für diesen Anlass eigens aus der Stadt in ihr Heimatdorf gereist – mit kurzen Röcklein, hohen Plateauschuhen und ganz gekonnt geschminkt, verwöhnten die Gäste. Die Männer liessen sich ganz besonders gern von den hübschen Damen bedienen und überboten sich mit Komplimenten und heimlichen Blicken. Die mitgereisten Frauen amüsierten sich darüber und mochten es ihren Männern gönnen, sich wieder einmal so richtig als Helden zu fühlen.
Um halb zwölf begann der eigentliche Festakt in der Kirche. Und tatsächlich! Da stand ein Kameramann des Lokalsenders Szamos und filmte den Einzug der Gottesdienstbesucherinnen und –besucher. In der Kirche, einem rechteckigen Bau mit klarem Zentrum, stehen auf drei Seiten Bänke, in schmale Reihen aufgeteilt. Diese bieten jeweils Platz für vier bis fünf Personen. Im Zentrum steht ein Harmonium. Hier predigten Vater und Sohn Sücs, unterstützt von Pfarrer Daniel Habegger aus Oberuzwil. Frau Sücs senior sass neben einer anderen Frau, deren Rang nicht so einfach zu erkennen war, auf separatem Stuhl, von den Bankreihen des „gewöhnlichen“ Volkes deutlich abgetrennt. Auch Hanni Habegger wurde hierhin komplimentiert.
Die Männerchörler nahmen in separaten, quergestellten Bänken, aber dennoch inmitten des ganzen Kirchenvolkes Platz, Aug in Auge mit den Pfarrern. Da konnte man sich keinen Predigtschlaf leisten. (Es ist zwar dennoch passiert, zum Glück sass Stefan in der hintersten Reihe und fiel auch nicht mit Schnarchen auf!) Die ungarischen Männer und Frauen und die zahlreichen Kinder schauten zwar etwas verdutzt, dass der Chor von einer Frau Dirigentin geleitet werde. Ihre Gesellschaft ist eben noch recht patriarchal geprägt. Vater Sücs hatte schon in die Schweiz geschrieben, dass er seinen Leuten unbedingt das schöne Weihnachtslied „O du fröhliche, o du selige Weihnachtszeit“ vorstellen wolle. Es brauchte etwas diplomatisches Geschick der Dirigentin, die Sänger – besonders in der Sommerhitze dieses Festtages – darauf einzustimmen. Die mitgereisten Frauen wurden ebenfalls ermuntert, dem Tisztabereker Pfarrer diese Freude zu bereiten. Was er auf ungarisch dazu erklärt hat, haben leider die wenigsten Gäste verstanden. Die Ungaren haben in ihrer Landessprache kaum ein Wort, welches sich in eine der üblichen europäischen Sprachen wiederfindet. Dass es aber für Herrn Sücs etwas ganz Besonderes war, haben bestimmt alle gemerkt.
Schon auf der Hinreise hatte Otto Panczel erklärt, dass die Ungaren immer bei Adam und Eva begännen, sobald sie etwas erzählten. Nun erlebten die Schweizer diese Eigenart ganz persönlich. Pfarrer Habegger hielt die Predigt, der junge Pfarrer Sücs übersetzte, und jeder Satz, kurz und bündig auf Deutsch, erfuhr in der ungarischen Sprache eine wundersame Verlängerung. Die Predigt, auf ungefähr zehn Minuten veranschlagt, dauerte deshalb ungefähr vierzig Minuten.
Die Kinder sassen während des ganzen Gottesdienstes gesittet und äusserst aufmerksam in ihren Bänken und hingen an den Lippen der Pfarrherren. Ein junger Organist entlockte dem launischen Harmonium erbauliche Töne. Dann sang er mit den Kindern. Jedes begann auf einer eigenen Tonhöhe, sang aber auswendig und mit grosser Hingabe. Die Mädchen trugen ihre schönsten Sonntagskleider. Ein Kind war mit unzähligen farbigen Haarspängeli geschmückt. Es beeindruckte, wie die ganze Gemeinde dem Geschehen im Zentrum der Kirche folgte. Der Mann vom Fernsehen zeichnete den ganzen Gottesdienst in einer ruhigen, unaufdringlichen Art auf, man merkte ihm an, dass er mit der Feier mitging. Für die Schweizer Gäste hatten zwei Kinder überdies je ein deutsches Gedicht auswendig gelernt. Gekonnt, laut und deutlich sprachen sie es vor, vom aufmerksamen Kameraführer auf liebevolle Weise eingefangen Ja, gegen Ende der Feierlichkeiten trugen gar alle Kinder und Jugendlichen ein Kirchenlied in Schweizer Dialekt vor. Das gefiel natürlich den weitgereisten Festbesuchern!
Der Gottesdienst dauerte für Schweizer Verhältnisse lange, fast zwei Stunden. Die Gäste vermochten aber bis zum Schluss gut zu folgen, weil immer wieder für Abwechslung gesorgt war. Der Männerchor sang fünf Lieder. Die Akustik in dieser Kirche ist ausgezeichnet, jeder Ton klar hörbar, so dass präzise und variantenreich gesungen werden kann. Die grosse Hitze liess aber mit der Zeit die Konzentration etwas abflauen. Dies zeigte sich im Lied vom „Lichtschöpfer“, bei welchem die erste wie auch die zweite Strophe sicher und ausgewogen ertönten, in der dritten aber plötzlich ein anderer Anfangston erklang, welcher bei einzelnen Sängern und natürlich auch bei der Dirigentin zu stark erhöhtem Puls führte. Zum Glück fiel die nachfolgende Stimme in der richtigen Tonlage ein. So konnte das Lied ohne weitere Zwischenfälle zu Ende gesungen werden. Wer das Lied nicht kennt und kein herausragendes Musikgehör besitzt, hat den kleinen Zwischenfall zum Glück kaum bemerkt.
Mitten in der östlichen Kirchenwand prangte die Männerchorfahne. Sie wurde, nachdem Trudi sie gespreizt hatte, in einer längeren Sequenz gefilmt. Besonders eindrücklich war der Gemeindegesang. Die Ungaren, ganz besonders deren Männer, sangen aus voller Kehle, so richtig inbrünstig, es rauschte und brauste durch die Kirche, so sehr, dass das Harmonium keine Chance mehr dagegen hatte. Die Schweizer Gäste lauschten gebannt dem kehligen Gesang. Hier kannten alle die Lieder auswendig, sangen alle mit. Manch hiesigem Gottesdienst täte das wahrlich auch gut!
Dann trat Ernst Preisig, der Männerchorpräsident, versehen mit dem wohlgefüllten Couvert der Schweizer Besucherschar, auf ein abgemachtes Zeichen zu den Pfarrherren an den Altar und überreichte es. Sichtlich gerührt – fast verliess ihn die Stimme, und man sah ihn eine heimliche Träne abwischen – nahm Pfarrer Sücs Senior das Geschenk entgegen. Mit den Worten: „Mehr als nur ein Couvert!“ steckte er es in die Kitteltasche. Auch Pfarrer Daniel Habegger brachte einen Umschlag mit monetärem Inhalt aus der Oberuzwiler Kirchgemeinde mit. Nun war es um den ungarischen Pfarrer geschehen. Vor lauter Rührung versagte die Stimme, die Kirchenbesucher liessen sich von der feierlichen Stimmung anstecken, da und dort hörte man ein Schneuzen und sah Taschentücher aufblitzen.
Kurz vor Schluss der ausgedehnten Feier rief plötzlich ein alter Herr den drei Geistlichen etwas auf Ungarisch zu: „Wie tönt die schweizerische Nationalhymne? Wir wollen sie hören.“ Es mutete sehr befreiend an, dass diese Frage aus dem Kirchenvolk Raum erhielt und die Sänger sofort zum Gesang veranlasst wurden. Allerdings mussten die Männerchörler ihre Hymne aus dem Büchlein ablesen. Die Dirigentin versprach, dieses beinahe unverzeihliche Versäumnis nachzuholen und das Lied in nächster Zeit konzertreif zu üben. Gebannt – und natürlich stehend – hörten die Gastgeber der für sie fremden Melodie zu. Man spürte förmlich, dass sie aus der Art der Musik etwas über das Land der Gäste erfahren wollten. Mit Segnungsworten für alle wurde der vielfältige, eindrückliche Gottesdienst beendet. Bestimmt wird diese Feier allen Mitgereisten noch lange in wertvoller Erinnerung bleiben.
Die lokale Fernsehstation Szamos sendete diesen Gottesdienst am darauffolgenden Sonntag in seiner ganzen Länge. Es sei eben für eine kleine Gemeinde dieser Art eine ganz besondere Auszeichnung und ein Geschenk, dass sich Menschen aus dem Westen in ihre Gegend verirrten und zudem noch deren Einweihungsfeier mitbestritten. Die Kirchgemeinde Oberuzwil hatte schon vorher verschiedentlich Kollekten und Spenden für die Gemeinde Tisztaberek gesammelt und Herrn Sücs weitergeleitet. Aus Tisztaberek wurde nun berichtet, dass mit dem aus der Schweiz beigesteuerten Geld die Heizung für den ganzen oberen Stock des neuen Kirchgemeindehauses eingebaut werden könne. So durfte dieses Geld Wärme in doppeltem Sinne schenken. Einerseits wärmt es die Herzen und andrerseits dient es der Behaglichkeit in den Räumen.
Der Chor sang in Tisztaberek folgende Lieder:
- Der Lichtschöpfer (Es lag in Nacht und Graus die Erde…)
- Alles Leben strömt aus dir (Appenzeller Landsgemeindelied)
- Die Legende von Babylon (By the River of Babylon)
- Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre
- Wie gross bist du (aus der Jodlermesse von Jost Marty)
3. Teil des Berichtes über die Ungarnreise des Männerchors Bichwil-Riggenschwil
Gastfreundschaft macht Freu(n)de
Der feierlichen Zeremonie in der Kirche folgte nun der sehr angenehme kulinarische Teil. Wunderschön waren im neuen, modernen Kirchgemeindehaus die Tische gedeckt worden. Auch draussen, an der prallen Sonne, luden lange Tische, festlich gedeckt, zum Essen ein. Beim Zugang zum privaten Hofraum stand eine ganz in gelb gekleidete, dunkelhäutige Bettlerin und hielt unterwürfig ihre Hände auf. Die Köchinnen erklärten, die Frau müsse draussen warten, bis alle gegessen hätten. Danach dürfe sie bestimmt vom Überfluss für ihre Zigeunerfamilie mitnehmen. Wenn man sie aber in den Hofraum einlasse, stünden augenblicklich zwanzig andere aus ihrer Sippe da, da habe man schlechte Erfahrungen gemacht. Für die Reisenden aus der Schweiz waren das eher ungewohnte Eindrücke.
Es gab eine feine Hühnersuppe, welche vom Präsidenten fachmännisch geprüft worden war. Sie schmeckte herrlich! Die gefüllten Kabiswickel, angenehm pikant gewürzt, trafen ebenfalls den allgemeinen Geschmack. Das Nationalgewürz „Paprika“ verlieh zudem eine schöne Farbnote. Dazu wurde selber gekelterter Wein getrunken. Das wunderbare Kuchenbuffet war schon vorher bestaunt – und fotografiert! – worden. Schliesslich waren die Bäuche vollgeschlagen. Manche Gastgeber sprachen dem Wein derart zu, dass einige junge Ungarinnen ihre Mütter holten, damit diese den Vater von weiterem Trinken abzuhalten versuchten.
Nach Aufhebung der Tafel bekam die Frau „vor der Tür“ dann eine gute Portion vom Rest des feinen Essens. Das beruhigte das ungute Gefühl wieder etwas, hier menschlichem Leid in unbekanntem Ausmass begegnet zu sein.
Dann schlugen die Pfarrer vor, einen einheimischen Bauernbetrieb zu besichtigen. Ein Verdauungsmärschchen tat gut, vor dem Verkehr brauchte niemand Angst zu haben, so nahm fast die ganze Reisedelegation an der Führung teil. Lautes Hundegebell ertönte, bevor auch nur jemand seinen Fuss in den Gutsbetrieb gesetzt hatte. Die Einheimischen klagen eben über ständige Diebstähle in ihren Stallungen, auf ihren Höfen und schrecken diese ungebetenen Gäste deshalb mit nicht besonders freundlichen Hunden ab.
Die Kühe waren fast alle enthornt. Ihre Euter streiften beinahe den Boden, alle konnten frei herumgehen, allerdings nur im Stallgebiet. Hinter den Stallungen leben in einzelnen Rundpferchen Kälbchen – Igluhaltung nennt sich das –, welche aus Angst vor Ansteckung die ersten fünfzig Lebenstage so voneinander abgesondert, aber mit Blickkontakt, gehalten werden. Der Bauer kannte seinen Betrieb, gab fachkundige Antworten auf zahlreiche Fragen und war sichtlich stolz, dass sich Leute aus dem Westen dafür zu interessieren schienen.
Hinter den Ökonomiegebäuden lagerten Heu und Stroh in riesigen Ballen, dahinter unter freiem Himmel riesige Berge Maissilage. Mit einem kleinen Bagger wird das Futter zu den Kühen verschoben. Nur ein ganz kleiner Teil des Betriebs gehört dem Landwirt, eigentlich nur der Boden, auf welchem die Gebäude stehen. Neun Zehntel seiner Weidefläche besitzt immer noch der Staat, ein „Erbe“ aus langen Jahren kommunistischer Herrschaft. Eigentlich sollte der Boden seit längerer Zeit privatisiert sein. Die Bürokratie verhindert aber ein schnelleres Tempo.
Auf der staubigen Strasse ging es wieder zurück zu Speis und Trank. Doch irgendwann waren alle derart satt, dass kein Krümelchen mehr Platz hatte. Viel zu schnell ging der unvergessliche Nachmittag vorbei. Am späteren Nachmittag sangen sich Gastgeber und Gäste gegenseitig einige Lieder aus ihrem Repertoire vor, dann hiess es bereits wieder Abschied nehmen. Die Pfarrherren fuhren in einem abenteuerlichen Trabi in eine nicht weit entfernte Stadt zu einem Interview in die Fernsehstation Szamos.
Und nun zeigte sich, welcher Mann ein Glückspilz war und das hübscheste Mädchen am längsten an sich drücken durfte. Das Andenken daran wird bestimmt noch eine rechte Weile anhalten. – Die Frauen dagegen erlebten zum Teil eine rechte Schnapstaufe durch die trinkfesten Ungaren. Werner kaufte einem fast zahnlosen Tisztabereker Mann sein Sommerhütchen ab, welches in der Folge nur noch „Brotkörbchen“ hiess (es stand im ersten Teil des Berichtes) und ermunterte den „Verkäufer“, mit dem Geld doch das erbarmungswürdige Gebiss zu sanieren. Der Car wurde mit tränenreichem Winken bis ausserhalb des Dorfes begleitet. Bei allen Mitreisenden herrschte einhellig die Meinung, heute etwas ganz Ausserordentliches und Unwiederbringliches erlebt zu haben, und das in jeder Hinsicht.
Abends waren alle so müde, dass kein grosses Bedürfnis nach Unterhaltung bestand. Eine Reiseteilnehmerin hatte leider diesen schönen Tag nicht miterleben dürfen. Eine hartnäckige Migräne liess nicht zu, dass sie mitreisen konnte. Zum Glück fühlte sie sich im Laufe der Woche von Tag zu Tag wieder besser.
Später wartete sie mit dem Männerchor und seiner übrigen Anhängerschaft auf den Video aus Ungarn, um im Nachhinein doch auch noch dabei gewesen zu sein. Die Erinnerung an diesen unvergesslichen Tag und die gesamte wunderbare Reise wird den Chor bestimmt noch lange begleiten.
In Verbundenheit mit dem Männerchor Bichwil-Riggenschwil verfasst und überreicht von Dirigentin Annelies Seelhofer-Brunner – Von Januar 1985 bis Dezember 2007 für den Verein tätig.
Es war sehr lustig und interessant. Danke für den ausführlichen Reisebericht.
Ich wünsche dir frohe Ostern. bliib gsund
Peter
Liebe Annelies.
Bequem daheim am Stubentisch habe ich dank dir eine wunderbare Reise nach Ungarn erlebt. Der Reisebericht malt Bilder, singt Lieder, vermittelt kulinarische Genüsse und lässt mich als Leserin in eine fremde Kultur, ein unbekanntes Land eintauchen. So schön.
Bestimmt schwelgen die damaligen Teilnehmer und ihre Frauen auch nach diesen vielen Jahren noch in schönen Erinnerungen.
Dein Kulturtröckli ist für mich immer wieder eine Offenbarung und eine grosse Freude. Vielen Dank und liebe Grüsse an meine Erstklasslehrerin von 1967/1968.
Ja, gell, lieber Peter, wenn man dabei war, wird man beim Lesen gleich wieder 20 Jahre jünger…
Danke, liebe Judith
Ja, dies war eine wirklich vielfältige Reise. Teilweise richtig lustig, mit kleinen, unvergesslichen Anekdötchen, aber immer auch wieder mit grosser Tiefe, besonders im Gottesdienst. Und es verbindet mich auch mit den ungarischen Verwandten…