«De Himmel und d’Erde juchzed vor Freud» – 100 Jahre Kirchenchor Oberuzwil
Mit der feierlichen Aufführung der Toggenburger Messe «Juchzed und singed» des Toggenburger Komponisten Peter Roth erfreute der um 25 Männer und Frauen verstärkte Chor in der vollbesetzten Grubenmannkirche sein «Kirchenpublikum». Die Musik stand ganz im Zentrum dieses Festgottesdienstes.
Chorgeschichte
Der Oberuzwiler Kirchenchor wurde seit seiner Gründung im Jahr 1923 ausnahmslos von Lehrpersonen geleitet. Emil Nüesch dirigierte den Chor von 1923 – 1928, sein Nachfolger wurde Hans Forrer. Er stand dem Chor als Leiter von 1928 – 1950 vor. 1951 übernahm Niklaus Zwingli das Zepter und behielt es bis 1983 in seiner Hand. 1984 trat mit Annelies Seelhofer-Brunner erstmals eine Frau ans Dirigentenpult und behielt dieses Amt bis 2009. Die Anfangszeiten waren nicht gerade einfach, so kurz nach dem 1. Weltkrieg. Doch für das kirchliche Leben war der Chor eine grosse Bereicherung. Bis 2009 blieb der Chor selbständig, um zu Beginn des Jahres 2010 mit dem Kirchenchor Niederuzwil zu fusionieren.
Anfänglich fand die HV jeweils an einem Sonntagabend statt. Da gab es Tanz und Theater, einstudiert von Chormitgliedern. Irgendwann wollte jemand diesen Anlass auf den Samstagabend verlegen, bekam aber viel Gegenwind. Die Leute kämen so viel zu spät nach Hause und könnten den sonntäglichen Gottesdienst verpassen! Damals galt noch die soziale Kontrolle, so wurde die Gesellschaft zusammengehalten, allerdings schön getrennt zwischen evangelisch-reformiert und katholisch. Da hat sich glücklicherweise sehr viel geändert seither.
Manches gab zu reden
So lange wie der aktuelle Präsident des 2010 fusionierten Chores Niederuzwil-Oberuzwil singt wohl selten ein Chormitglied. Kurz nach der Konfirmation, mit 18 Jahren schon, trat Heinz Herzog nämlich in den Chor ein, in welchem bereits seine Mutter sang. Beim 50-Jahr-Jubiläum 1973 war er als Sänger dabei. Von diesem grossen Festkonzert wurde «live» eine Langspielplatte aufgenommen.
Absenzen und Disziplin gaben immer wieder zu reden. Marianne Burgermeister, langjährige Chorsängerin im Sopran sowie ehemalige Kirchenpräsidentin, übernahm in der von ihr verfassten Jubiläumsbroschüre zum 75-Jahrjubiläum 1998 dazu eine Anekdote, die Elsy Schefer – aus dem legendären Scheferladen im Dorfzentrum – ins Protokoll geschrieben hatte: «Besuchen wir die Probe, sind wir mit der Leitung von Herrn Zwingli zufrieden, fehlen wir, so bedeutet dies Krieg. Hoffentlich werden wir nie krank!» Niklaus Zwingli deutete den Probenbesuch eben als Zeichen für seine Beliebtheit.
1998 feierte der Chor bereits sein 75-jähriges Bestehen mit einem klassischen Konzert, begleitet von einem Streichorchester samt Orgel. Und zum Abschluss des selbständigen Oberuzwiler Kirchenchors gab es ein festliches, sehr gut besuchtes Konzert, zusammen mit dem Freizyt-Chörli Flawil-Gossau, welches mit dem Lied «Juchzed und singed» schon eine Peter-Roth-Komposition enthielt.
Musik, die zu Herzen geht
Peter Roth hat seit Jahren immer wieder Werke komponiert, die bis heute nichts an Aktualität eingebüsst haben. Seine Toggenburger Messe «Juchzed und singed» darf bestimmt zu seinen bekanntesten gezählt werden. Wurde diese anfänglich vor allem von Chören rund um den Alpstein gesungen, werden sie unterdessen auch in Basel oder im – deutschsprachigen – Jura gesungen. Dieser Messe liegt eine eigentliche Dramaturgie zugrunde. Anfänglich ist die Stimmung düster, kalt und lichtlos, beherrschen Soldatenstiefel die Welt. Doch bald keimt leise Hoffnung auf. Ein Zwiegespräch zwischen einer verzagten Seele und einem gnädigen Gott beginnt. Ein Glaubensbekenntnis ganz besonderer Art, rhythmisch und klanglich verheissungsvoll, zeigt den Kampf auf, für den Menschen einstehen sollten.
Am Schluss heisst es da: «I glaube und vertraue de Gmeind, wo Friede und Versöhnig lebt, wo Liebi schenkt und muetig kämpft för e neui und gerechti Welt». Dank dem freudig bewegten Lied «Juchzed und singed» und dem so tänzerisch-lüpfigen Nachspiel hat sich glücklicherweise wieder Hoffnung breitgemacht. Der 23. Psalm aus diesem Liederzyklus ist unterdessen zu einem eigentlichen Hit geworden, passend zu jeder Art von Gottesdienst.
Dank dem sprachbegabten Juha Stump – Mutter Finnin, Vater Schweizer – kann die Messe unterdessen in 50 (!!!) Sprachen bestellt werden. Dessen Botschaft tut auf der ganzen Welt gut. «Juchzed und Singed» in 50 Sprachen Auf dieser Seite kann auch mehr vom Werdegang des inspirierenden Musikers Peter Roth erfahren werden. Folge 31: Die Wiege der Toggenburger Streichmusik Peter Roth
Klang und Resonanz
Peter Roth hat sich ganz dem Klang und dessen Resonanz verschrieben. Die Klangwelt Toggenburg und vor allem das Klanghaus ist nebst anderen Menschen vor allem ihm und seiner Leidenschaft für Klang und dessen Auswirkungen zu verdanken. Allerdings gab es viele Hürden zu überwinden, bis das Klanghaus gebaut werden konnte. Noch ist es nicht offen, doch ab 2025 soll dieses einzigartige Gebäude neben dem malerischen Schwendisee ob Unterwasser vieles zum Klingen bringen. Klangwelt Toggenburg
Liturgie gestaltet von Ellen Schout Grünenfelder
Seelsorgerin Ellen Schout hatte die Liturgie ganz auf den Zusammenhang von Musik und Lebenserfahrungen gestellt. Sie gliederte ihre Predigt in drei Teile, immer wieder unterbrochen durch Lieder aus der Messe. Genau wie in der Musik sowohl Dur als auch Moll Gemütszustände hörbar machten, so gebe es im Leben Hochs und Tiefs, stellte die Seelsorgerin fest. In der Lesung aus dem 1. Buch Samuel – Kapitel 16, Verse 14 – 23 (David kommt an Sauls Hof ) – von Lektorin Anita Germann-Fischer vorgetragen – machte sie deutlich, wie widersprüchlich ein Menschenleben sein könne. David kann König Saul in depressiven Momenten mit seiner Musik trösten. Später wird er gar selbst König, doch sind nicht alle seine Handlungen über alle Zweifel erhaben. Da wechseln sich Machtgehabe und reuevolle Momente ab.
Hier kann der ganze Gottesdienstablauf samt Predigt und Gebeten nachgelesen werden. Einfach Predigt 18.06.2023 anklicken. Predigten, ref-oberuzwil.ch
Ellen Schout sprach auch aus, was vielen Menschen, die in Chören singen, grosse Motivation ist, immer wieder in die Probe zu gehen, sich auf Neues einzulassen und dabei Gemeinschaft und Zusammengehörigkeitsgefühl zu spüren. Man schaut zueinander, unterstützt und kümmert sich um leidende Mitglieder. Man freut sich aber auch mit, wenn es etwas zu feiern gibt. Geselligkeit ist nebst dem musikalischen Tun ebenfalls ganz wichtig.
Nicht immer ist die Kirche an einem Gottesdienst so voll…
Stolzer Präsident Heinz Herzog
Heinz Herzog war dieser Jubiläumsgottesdienst eine Herzensangelegenheit. Er war im Oberuzwiler Kirchenchor schon mehrere Jahre Präsident gewesen. Mittlerweile steht er seit rund 20 Jahre an der Chorspitze. Er hatte sich vor diesem Festsonntag um alles rund um den Chorauftritt gekümmert, immer unterstützt vom Vorstand, besonders aber auch von seiner Frau Isabella und von Annelise Naef-Dietiker, die ihm viel Korrespondenz abnahm. Die Suche nach Sängerinnen und Sängern für diesen Auftritt war von einem Grosserfolg gekrönt, folgten doch 25 Frauen und Männer dem Aufruf und liessen sich auf das Projekt ein.
Auch um die Musiker kümmerte sich Heinz Herzog, fand in Musiker Karl Paller aus Züberwangen einen Mann mit unzähligen Verbindungen zu hochkarätigen Musizierenden. Wo er ist, singt’s und klingt’s Der Mann hat 2014 von der Stadt Wil einen Anerkennungspreis für sein kulturelles Wirken bekommen. An der Hauptprobe war er anwesend. Er hörte auf den Chorklang, der in der leeren Kirche allerdings nicht leicht einzuschätzen war und teilte seine Wahrnehmungen mit der Dirigentin.
Engagierte Dirigentin
Dirigentin Oxana Peter erarbeitete alle Lieder äusserst sorgfältig, machte immer wieder klar, dass die Stimmung der Aussagen ganz wichtig sei und man dies auch hören müsse. Bei den Proben spielte sie die Begleitmelodie auf dem Flügel mit, bei der Aufführung übernahm dies das Ensemble. Sie brauchte oft viel Energie, damit der Chor das richtige Tempo, die angemessene Lautstärke oder die passende Stimmung auch wirklich durchhielt. Am Schluss dankten ihr Chor und Ensemble für ihren Grosseinsatz für dieses Projekt, die Zuhörerschaft mit einem kräftigen Applaus für die sehr schöne Aufführung.
Hier folgt eine Hörprobe aus der Aufführung vom 18. Juni 2023. Der jauchzende Schluss mit dem Orchester fehlt bei dieser Aufnahme, welche die ehemalige Kirchenpräsidentin Lisa Alder aufgenommen hat.
Hochkarätiges Begleitorchester
Das kleine, feine Orchester bestand aus folgenden Instrumentalistinnen und Instrumentalisten: Konzertmeister/1. Violine: Paolo Zordanazzo; 2. Violine: Ursula Maurer; Violoncello: Thomas Maurer; Kontrabass: Marianne Ehrbar; 1. Klarinette: Thomas Fele, 2. Klarinette sowie Violine: Monika Toppius und am Hackbrett der junge Physiker Urs Grob, der schon sehr viel am ausgewogenen Klang seines Instrumentes getüftelt hat. Für Interessierte kann hier ein Artikel zu diesen Bemühungen nachgelesen werden. Das vermessene Hackbrett (ethz.ch)
Thomas Fele darf sich aktuell «Botschafter der Stadt Wil» nennen. Diese Funktion hatten vor ihm schon sehr prominente Persönlichkeiten wie Karin Keller-Sutter oder auch Viktor Giacobbo inne. Der „Wiler Botschafter 2023“ heisst Thomas Fele Fele ist auch Gründer und Leiter der bekannten Jugendband «Bläserkids». Hier begrüsst er Monika Toppius, welche mit Klarinette und Violine die Aufführung mitprägte.
Geselliger Ausklang
Zu einem Kirchenbesuch gehört auch eine Kollekte für ausgesuchte Projekte im kirchlichen oder sozialen Bereich. Diesmal wurde damit das Solidaritätsnetz Ostschweiz bedacht. Die freiwillig Mitarbeitenden dort durften für die Unterstützung von asylsuchenden Menschen den Betrag von Fr. 1’430.00 entgegennehmen. Solidaritätsnetz Ostschweiz
Auf dem sonnigen Platz vor der Kirche trafen sich danach begeisterte Kirchenbesucherinnen und Besucher zu einem feinen Apéro und tauschten sich dichtgedrängt über das Gehörte aus.
Hier geht es zur Webseite des Kirchenchors .Kirchenchor, ref-oberuzwil.ch