Eine Art «Zwischenleben» in der Alten Gerbi Oberuzwil
Die Donnerstagsgesellschaft Oberuzwil lud anfangs November 2023 erneut ins Kulturlokal ALTI GERBI ein, auch diesmal zu einem Augen- und Ohrenschmaus. Drei ganz unterschiedliche Frauen, Freundinnen auch im privaten Leben, sinnierten über das Leben und dessen Unwägbarkeiten. Ihr Programm in Oberuzwil trug den Namen «posthum». Dieses Wort bedeutet «nach dem Ableben, nach dem Tod». Dabei standen drei quicklebendige Frauen in der Blüte ihres Lebens auf der Bühne. Was mochte einen da erwarten?
Vorstandsmitglied Ellen Schout Grünenfelder hatte das Trio an der „Krönung“ in Aadorf entdeckt. Sie machte Lust auf einen hochkarätigen Abend – und hatte damit nicht zu viel versprochen.
Interessanter Name
Drei Frauen, ein Mann am Regiepult, dazu mehrere Instrumente auf der Bühne, das ist das Trio «si jamais». Simone Schranz, Jacqueline Bernard und Mia Schultz heissen die Damen. Übersetzt könnte das als «falls niemals» oder «falls je» verstanden werden. Der Name ist schon fast Teil des Programms. Auf der Webseite des Trios ist zu lesen: «Der Name besteht aus den zwei Anfangsbuchstaben von SImone und Jaqueline – und Mia macht den MAIS – das ergibt «si jamais». Und mit etwas «Mais» geht es denn auch den ganzen Abend zu und her. Es ist selten so, wie es aussieht – Denken um die Ecke ist gefragt.
Musikalisches Vergnügen
Alle drei Frauen sind breit ausgebildete Musikerinnen mit einem Hang zum Komödiantentum und zur Übertreibung. Wie lange wohl die Schminkprozedur jeweils dauert? Sie scheinen auch ganz viele Oldies zu kennen, die man bestens in eine neue Form bringen kann. Simone Schranz zupft oder streicht die Saiten ihres riesigen Kontrabasses und gibt so den drei Frauenstimmen die passende Prise Tiefe. Jacqueline Bernard greift in die Tasten und singt sich dazu manchmal fast die Seele aus dem Leib.
Und Mia Schultz bringt immer wieder gern etwas Pep ins Ganze. Sie erzählt auch ständig von ihrer Grossmutter, die eine grosse Liebe für die Klezmer-Musik hatte. Und spielt dann auf Saxofon oder Klarinette selbst den einen oder andern Titel, einmal äusserst melancholisch, dann wieder in einen rasenden Tanzrhythmus verfallend – einfach umwerfend. Noten brauchte übrigens während der ganzen Vorstellung – immerhin mehr als 1 ½ Stunden – keine der Frauen.
Handlung mit Nebensträngen
«posthum» ist das dritte Programm mit einer turbulenten Serie von Vorkommnissen im Leben der Drei. Das erste Programm tauften die Frauen «kriminell», was auch erklärt, weshalb die Damen das Frauengefängnis Hindelbank laut eigenen Angaben von innen kennen. Dann entwarfen sie «inkognito», in welchem sie nach einem Ausbruch ihren Tod vortäuschten. Von einer Flucht in die Fremdenlegion in Guyana war da die Rede. Und von «Abhauen» allgemein. Doch irgendwann spürte die Polizei die Abgetauchten auf. Bei einem Feuergefecht überlebten sie dank vermeintlich kugelsicherer Westen. Heimlich konnten sie sich in die Berge ins Chalet des Mafioso Gianfranco zurückziehen. Genau hier begann nun das in Oberuzwil gezeigte Stück «posthum».
Immer wieder Hit-Melodien
Erst einmal betrauern die Drei den Tod ihres Tontechnikers, dies mit dem Lied «Oh Pascal, es isch verbi» auf die Melodie von «Seasons In The Sun » von Terry Jack. Ihm fehlte bei jenem Gefecht leider eine kugelsichere Weste. Aber sonst gefällt es den nun abgeschieden Lebenden sehr gut im Chalet mitten im Naturschutzgebiet. Einzig das Jacuzzi dürfen sie auf keinen Fall benutzen, nicht einmal aufsuchen. Simone weiss weshalb. Mit angehaltenem Atem verfolgt man das Geschehen auf der Bühne. Jacqueline wagt es, im VOLG einkaufen zu gehen. «Viel zu gefährlich!» schreien ihre Kolleginnen.
Irgendwann kommt die Frage auf, wie der Haushalt organisiert werden könnte. «Der Küchenboden klebt!» Genau das fiel auch vielen im Publikum auf – der Boden in der Gerbi klebte nämlich ebenfalls, vermutlich nach der Chilbi-Party von vergangenem Samstag. So sagte ein Mann beim Begrüssen: «Ich würde ja gerne aufstehen und dich so begrüssen, aber du siehst ja, ich klebe fest!»
Grosses Glück mit Grossmama und deren Klezmer-Band
Mia erzählt immer wieder von ihrer jüdischen Grossmutter aus Konstanz, die in Berlin mit ihrer Klezmer-Band «Die kessen Klezmer» gross herauskam. Dass ihre Familie das nicht gerne sah, ist kein Wunder. Eine Frau, wenig bekleidet, in einer Männergesellschaft. Aber heimliches Klarinette-Üben half. Doch der Traum endete, als die Grossmutter einen «Goj» – einen Nichtjuden – heiratete und zur biederen Hausfrau mutierte. Zum Glück hat Mia die Klezmer-Musik ebenfalls in die Wiege gelegt bekommen. So konnte sie das begeisterte Publikum – einmal in schicker Männerkluft, ein andermal im Nachtgewand – so richtig in Schwung bringen, sei es mit ihrer Klarinette, auf der die Finger tanzen oder auch auf dem beeindruckenden Bass-Saxofon.
Hier eine kleine Kostprobe von wunderbarer Klezmermusik
Mia verträgt augenscheinlich mächtig viel Alkohol in allen Farben, drängt diesen auch ihren Mitbewohnerinnen auf, bis alles aus dem Ruder zu laufen droht und ihre sie Freundinnen in eine AA-Sitzung schleppen. Da kommt Psychologie ins Spiel.
«Je ne regrette rien»
Ein Medley mit Hit-Melodien aus verschiedenen grossen Oldies regte nach der Pause das Publikum möglicherweise zum Titelraten an. «Ave Maria», dann «Hallelujah» von Leonard Cohen oder auch Klangfetzen aus «Amazing Grace» sowie «The Final Curtain» oder «My Way» – Frank Sinatras Welthit- , alle mit je eigenem Text versehen und instrumental vielfarbig umgesetzt, betörten. Auch kleidermässig boten die Frauen etwas. Und dann die Schuhe – die man allerdings in den hinteren Reihen vermutlich gar nicht sehen konnte – o lala! Dazu ist die Gerbi-Bühne etwas zu niedrig, zu viele Köpfe im Saal im Weg… Oft waren sie aber auch einfach barfuss unterwegs.
Pause nach dem Grossangriff auf die Hirnzellen…
Zwischen den Welten
Unterdessen hatte sich das Publikum langsam daran gewöhnt, dass die Szenerie ständig wechselte. An einem Grab, mit einer kleinen Kerze symbolisiert, sinnierten die Musikerinnen jetzt über die Person, die im Grab liege. «Ist da überhaupt jemand drin?» In der Zwischenzeit war eine Netflix-Serie über die Abenteuer des Trios gedreht. «Unterirdisch schlecht!» meinte dazu eine der Frauen. Natürlich gab es auch sonst immer mal wieder kleineren Zoff.
Gebannt sassen sie nun also auf ihrem Sofa und schauten sich ihr Leben an – eine Art filmische Rückschau. Doch da wallte Nebel auf, Wasser gluckste und – o je! – jemand sass doch tatsächlich im Jacuzzi! Doch wer? Im Hintergrund hört man jetzt eine schöne Männerstimme singen. Plötzlich sprangen die drei Frauen auf – durchwühlten einen Koffer. Kugelsichere Westen? Und das von Amazon mit dem Vermerk «Use only for fun» – also nur zu Vergnügungszwecken vorgesehen?
Die bange Frage kam auf: «Leben wir jetzt eigentlich noch oder sind wir schon im Jenseits?» Die Frage ging prompt auch ans Publikum.
Doch dann ertönte «Let’s have a Party» sowie «I’m still standing» und verdrängt die düsteren Gedanken. Und weil der Applaus nicht aufhören wollte, kam noch «Mister Sandman» samt komödiantischen Einlagen zu Besuch. Damit liessen die Künstlerinnen den interessanten, herausfordernden und musikalisch auf Höchstniveau verlaufenen Abend ausklingen. Er machte Lust auf mehr…
Und für die Agenda: HV der Donnerstags-Gesellschaft Oberuzwil am 18. Januar 2024