„Frauen, traut euch und lernt ruhig auch etwas bluffen!“

„Frauen, traut euch und lernt ruhig auch etwas bluffen!“

22. September 2021 Aus Von Annelies Seelhofer-Brunner

Fünfmal Kompetenz: von links – Erika Schiltknecht-Lehmann, Erna Niedermann, Ruth Felix-Heule, Hanna Sahlfeld-Singer und Moderatorin und Interviewerin Hedi Mérillat-Holenstein.

Am fünften Anlass des Ortsmuseums Flawil ging es um „Frauen in der Öffentlichkeit“, dies anlässlich der Reihe „Flowiler Fraue – gschaffig und starch“. Natürlich leben in Flawil nicht nur ein paar wenige starke, einsatzfreudige Frauen. Es fiel deshalb der Museumsleitung gar nicht leicht, für den 5. Anlass aus vielen möglichen „Kandidatinnen“ fünf  Persönlichkeiten auszuwählen, welche Moderatorin Hedi Mérillat zu ihren Erfahrungen als öffentliche Personen Red‘ und Antwort stehen würden. Beatrice Sandberg-Braun und Hanna Sahlfeld Singer standen von Anfang auf der Liste der Wunschgäste der Museumsleitung, die andern drei Frauen fragte Hedi Mérillat für diesen Anlass an. Hedi Mérillat ihrerseits hatte vor ihrer Pensionierung 2018 viele Jahre unter dem Namen „Anwaltsbüro Mérillat-Holenstein“ erfolgreich eine eigene Anwaltskanzlei in Flawil geführt.

Starke Flawiler Frauen in der Öffentlichkeit

Die Veranstaltung fand in der evangelischen Kirche statt, dies erstens wegen des garstigen Wetters, aber auch weil man viele Interessierte erwartete und zudem wegen eines Video-Interviews eine gute Akustik wünschte. Museumsleiter Urs Schärli bedankte sich bei der Kirchenvorsteherschaft für das Gastrecht. Er wies kurz auf den am Morgen von Pfarrerin Hanna Sahlfeld-Singer gehaltenen Gottesdienst hin. Die Kernaussage der Predigt hatte geheissen: „Der Mensch muss mitarbeiten am Reich Gottes, das geht nicht von allein.“ Dies umriss bereits das Thema des Nachmittag: Das Leben von Flawiler Frauen, die gesellschaftlich und politisch eine gewisse Zeit in Flawil oder gar national mitbestimmten.

Interview mit Prof. Dr. Beatrice Sandberg-Braun

Da Prof. Dr. Beatrice Sandberg-Braun nicht persönlich nach Flawil kommen konnte, führte Hedi Mérillat mit ihr ein Video-Interview. Die in den Vierzigerjahren in Flawil aufgewachsene Frau spürte früh einen grossen Bildungsdrang, was bis zu einem Studium mit Doktortitelabschluss in Zürich führte. Durch ihren norwegischen Mann kam sie nach Bergen und machte an der dortigen Universität Bergen ausserordentlich rasch Karriere. In der Schweiz wäre der schnelle Aufstieg in eine Professur damals kaum möglich gewesen, da damals hierzulande Männer praktisch alle höheren Posten besetzten.

In Norwegen war es ihr hingegen ziemlich einfach, selbst mit drei Kindern berufstätig zu bleiben. Unterstützt wurde die Frau dabei vom Staat – gutes Kita-Angebot -, von ihrem Mann und nach dem dritten Kind auch von Schweizer Au-Pair-Mädchen. Mit manchen von diesen bestehen Beziehungen bis heute. Zum wissenschaftlichen Schreiben kam sie in dieser Zeit wenig, aber das war im Norden kein Problem, schliesslich wissen dort alle, wie das mit kleinen Kindern so sein kann. In Norwegen hätten sie den Kopf über die Schweizer Männer geschüttelt, die ihren Frauen so lange kein Stimmrecht gewähren mochten, erzählte sie im Interview mit Hedi Mérillat.

Was die Professorin in ihrer Wahlheimat eher schwierig findet, das sind die staatlichen Lenkungsmanöver für Studierende. So wurden längere Zeit Berufe rund um den Ölboom forciert, die jetzt auf Jobsuche sind, dafür gibt es zu wenig Lehrer, die zudem noch schlecht entlöhnt werden. Dafür bekommen alle Studierenden ab 18 Jahren eine Art Stipendium, welches allerdings bei Berufseintritt rückzahlungspflichtig wird.

Von Ferne seid herzlich gegrüsset – auch Beatrice Sandberg-Braun hat ihre Jugend in Flawil verbracht.

Hanna Sahlfeld-Singer

Die Pfarrerin Hanna Sahlfeld-Singer war in vielen Teilen eine Pionierin. So studierte sie als eine der wenigen Frauen damals Theologie. Sie war schon während der Schulzeit oft als einziges Mädchen in einer Sonderrolle gewesen, da man damals für Frauen eher Kochen und Hauswirtschaft als lebenswichtig erachtete als Latein oder andere „Männerfächer“. Doch sie ging unbeirrt ihren Weg. Zuhause waren gesellschaftliche Themen und Einstehen für die Schwachen wichtige Diskussionspunkte und prägten den Weg von Hanna Sahlfeld. In Oberhelfenschwil begann ihr Einsatz als Pfarrerin. Da seien oft schon morgens um Sieben Bauern gekommen, um etwa eine Geburt oder einen Todesfall anzumelden. Beim Erzählen leuchteten ihre Augen, man spürte daraus, wie sehr sie ihren Beruf geliebt hatte.

Sie heiratete später einen deutschen Pfarrer. Diese Landsleute waren nach dem Zweiten Weltkrieg in der Schweiz lange Zeit nicht gerne gesehen, es gab viele Ressentiments. Als die Schweizer Frauen 1971 endlich auch das Stimmrecht bekamen, wurde Hanna Sahlfeld von der SP für den Nationalrat aufgestellt und auch gewählt, als zweite Frau im Kanton St.Gallen. Zwei Monate vorher war schon Hanni Thalmann für die CVP – heute „Die Mitte“ in diesen Rat gewählt worden.

Mit der Wahl ins nationale Parlament war ihre Pfarrkarriere fürs Erste beendet, da dies eine solche Berufsausübung ausschloss. In den Augen vieler war die Frau sowieso in der falschen Partei, dazu eine Studierte und dazu erst noch Ehefrau eines Deutschen. Ihr Mann fand gleichzeitig wegen ihres politischen Mandats im Kanton St.Gallen keine Stelle. Obwohl 1975 wiedergewählt, zog Hanna Sahlfeld deshalb mit ihrer Familie nach Deutschland, wo sie bald wieder ihren geliebten Beruf aufnehmen konnte.

Ruth Felix-Heule

Wer kennt sie nicht, die kraftvolle, für alle Menschen ein gutes Wort auf den Lippen führende Ruth Felix, legendäre ehemalige Wirtin im Flawiler „Eschenhof“? Sie erzählte von ihrer grossen Montlinger Stammfamilie. Als eines der jüngsten Kinder habe sie immer ihren älteren Geschwistern folgen müssen. Doch hätten alle aus ihrer Familie das lernen dürfen, was ihnen entsprach. Sie wählte für sich den kreativen Beruf Köchin und erfreute damit während Jahrzehnten ihre Mitmenschen. Ihr Mann war allerdings nicht vom gastronomischen Fach, sondern Massschneider, immer toll gekleidet, mit eigenem Geschäft.

Die Frau hatte im Restaurant alles im Griff, war die erste und auch die letzte in der Küche. Ihr Mann unterstützte sie, wo er konnte, war fürs Bauen zuständig. Sie erzählte mit leuchtenden Augen aus ihrer Zeit als Wirtin. Mit Nachdruck meinte sie auf Nachfrage der Moderatorin: „Das Wichtigste in jedem Beruf sind Respekt und Achtung vor den Mitmenschen. Man muss Vorbild sein und Interesse für alle haben, alle gleich behandeln.“ Gelächter löste ihre Feststellung aus, dass man im Altersheim beim Spielen die alten Menschen dort unbedingt gewinnen lassen müsse!

Kaum vorstellbar, dass es der Frau einmal langweilig werden könnte. Man glaubt es ihr sofort, wenn sie stolz sagt: „Bei mir läuft immer was!“ Besondere Sympathiepunkte bekam sie für ihre Ankündigung, für alle im Zelt hinter dem Ortsmuseum heisse Pizza aus dem Eschenhöfler Steinofen zu spendieren. Viele folgten der Einladung nach Ende der Veranstaltung. Dazu passt auch, dass Ruth Felix als junge Frau im Frauenhilfsdienst FHD – FHD-Heule! – im militärischen Fliegerbeobachtungsdienst eingesetzt war.

Erna Niedermann

Der „Prix Courage“ zeichnet Menschen aus, die Ausserordentliches für die Gesellschaft geleistet haben. Genau das hat Erna Niedermann getan. Die Frau selber sieht es als selbstverständlich an, in Notsituationen ohne langes Überlegen zu helfen. Ihre Berufstätigkeit hat sie bei der Post angefangen. Sie liebte schon immer Sprachen, besonders Französisch. „Prix Courage“ geht in die Ostschweiz

Sogar Kurt Aeschbacher hatte von ihrer mutigen Tat gehört und sie in seine Sendung eingeladen. Erna Niedermann schwärmte: „2015 war in allen Teilen ein wunderbares Jahr für mich!“

Einmal wurde sie von der SP als Kandidatin für den Schulrat angefragt. Sie sei damit grandios gescheitert, wie sie sagte. Eine unverheiratete Frau ohne Bezug zu Kindern? Was sie da denn wolle? Doch irgendwann wurde sie von Margrit und Werner Ermatinger ermutigt, sich als Richterin für die SP aufstellen zu lassen. Sie wurde gewählt, hatte jedoch keine Ahnung, worauf sie sich da einlassen würde. Schon die passende Kleidung war eine Hürde, mangelnde Informationen eine weitere… Das Richteramt machte ihr viel Freude, besonders die Ausflüge zu verschiedenen Strafanstalten in der Schweiz. Als sie mit ihrem Team einmal im Zug nach Regensdorf sass – sie wollten die Strafanstalt Pöschwies besuchen – , habe der Kondukteur grosse und immer grössere Augen gemacht, denn besonders kriminell sahen diese Menschen doch gar nicht aus!?

Erna Niedermann liebte ihre Tätigkeit als Richterin und machte als mutige Frau in der ganzen Schweiz Schlagzeilen.

Erika Schiltknecht-Lehmann

Das Jungunternehmerzentrum in Flawil ist schon längst zu einer unverzichtbaren Institution geworden. Erika Schiltknecht hat das Unternehmen massgeblich geprägt. 16 Jahre lang wirkte die gelernte Kauffrau – damals hiess das noch Kaufmann! – und vielseitig tätige Frau als FDP-Vertreterin im Flawiler Gemeinderat im Ressort „Gesundheit und Soziales“ mit. Auf die Frage von Hedi Mérillat, wer sie denn für diese Wahl ursprünglich motiviert habe, erklärte Erika Schiltknecht, dies sei die ehemalige Richterin und Juristin Heidi Baer aus Oberuzwil gewesen, ursprünglich darauf angesprochen habe sie allerdings deren Mann René Baer. Jung-Unternehmer-Zentrum

Erika Schiltknecht wuchs nach eigenen Worten in einem patriarchal geprägten Elternhaus auf. Als es um das Frauenstimmrecht gegangen sei, habe sie gedacht: „Dann haben die Männer einfach zwei Stimmen.“ Als sie dann im Gemeinderat zu politisieren begann, musste sie erfahren, dass ihre Voten oft einfach übergangen, ja richtiggehend ignoriert wurden. Doch sie lernte, wirksam zu argumentieren und durfte erleben, dass ihre Stimme ein Gewicht bekam. Früh machte sie sich selbständig. Und als man in Flawil ein Netzwerk für Jungunternehmen gründete, wurde sie dessen Geschäftsführerin, ganze 20 Jahre lang. Sie gab den Frauen den guten Rat mit auf den Weg: „Frauen, lernt ruhig auch ein wenig bluffen, seid mutig!“ Erika Schiltknecht ebnet den Weg in die Selbständigkeit

Erika Schiltknecht-Lehmann hat vielen Jungunternehmen den Schritt in die Selbständigkeit erleichtert.

Huusmusig Egg

Drei Frauen bilden die „Huusmusig Egg“ aus Flawil. Sie spielten lauter Stücke, die exakt zum Anlass passten. Ja, sie bliesen den Frauen sogar den Marsch, wie ein Stück hiess. Auch Musik gehört zu einem gelingenden Miteinander, kann Menschen verbinden, trösten, aber auch beglücken. Den Anwesenden gefiel diese Abwechslung, es gab Applaus, was die Frauen zu Zugaben bewegte. Am Schluss sangen Publikum Diskussionsrunde zu den Klängen der Huusmusig „Guete Sonntig mitenand“… Sie rundeten damit eine spannende und lehrreiche Veranstaltung ab.  

Die „Huusmusig Egg“ mit Marlis Riege, Elsy Steiger – rechts – und Lina Baumann am Kontrabass bot ein richtiges Frauen-Potpourri, sorgfältig ausgesucht von Lina Baumann.