«Hackbrett meets Boogie-Woogie»

«Hackbrett meets Boogie-Woogie»

22. November 2024 Aus Von Annelies Seelhofer-Brunner

Grad häufig kommt es in Oberuzwil ja nicht vor, dass die Leute vor einem Anlass in der Kirche bis auf die Strasse hinunter auf Einlass warten. Doch bei besonderen Darbietungen kann das schon einmal der Fall sein. So geschehen am 14. November 2024. An diesem Abend beehrten die beiden Vollblutmusiker Elias Bernet und Nicolas Senn Mitglieder und Gäste der Donnerstagsgesellschaft Oberuzwil. Alles war in der akustisch hervorragenden Grubenmannkirche Oberuzwil bereit für ein herausragendes Musikerlebnis. Das Motto des Konzerts: «Hackbrett meets Boogie-Woogie».

Begrüssung

Co-Präsident Adrian Müller, der zuvor dafür gesorgt hatte, dass die vielen Menschen geordnet in die Kirche kommen konnten – es waren diesmal sogar Eintrittsbillette verteilt worden – durfte 280 Personen begrüssen. Zahlende Gäste und Mitglieder der Gesellschaft hielten sich zahlenmässig fast die Waage. Vor dem Absitzen durfte man sich über ein süsses Präsent aus der Dorfbäckerei freuen, welches – als freundliche Geste der Veranstalterin – auf jedem Sitzplatz lag. Und weil ursprünglich «nur» 250 Personen angemeldet gewesen waren, war Müller noch kurzfristig für ein paar Brügeli besorgt. Sogar aus dem Pfarrhaus mussten Stühle hergetragen werden, damit auch wirklich alle einen Sitzplatz bekamen. Entsprechend hocherfreut begrüsste Adrian Müller die vielen Gäste. Erst sprach er in einer kurzen Einleitung über Gründung und Ziele der Donnerstags-Gesellschaft. Wer dazu mehr erfahren möchte, findet unter diesem Link weitere Informationen.

Volksmusik aus zwei Welten

Nicolas Senn, neuerdings mit gepflegtem Bart, ist heute in der Volksmusikszene der Schweiz ein gefragter Mann, sei es als gewiefter Moderator der Sendung «Potzmusig» oder als virtuoser Hackbrettspieler in ganz unterschiedlichen Formationen und Stilrichtungen. Er liebt die traditionelle Volksmusik des Appenzellerlandes, schaut aber immer auch mal wieder über den Tellerrand hinaus, bis hin zu klassischen Werken. Nur wenige Schweizer Musiker haben wohl je auf dem Kilimandscharo ein Konzert gegeben, wohl aber Nicolas Senn im Jahr 2010, jedoch nicht auf dem üblichen Konzert-Hackbrett, sondern auf einer Mini-Ausgabe für den Rucksack, selbst hochgetragen, dessen Erlös dem «Rhein-Valley-Hospital» in Kenia zugutekam.

Elias Bernet dagegen, 2005 mit dem Förderpreis der St.Galler Kulturstiftung ausgezeichnet, hat es eher mit amerikanischen Rhythmen. Ihm haben es vor allem der Blues und der Boogie-Woogie angetan. Bernet war schon im vergangenen Sommer in Oberuzwil, damals mit seiner Band. Hier kann dazu ein Bericht nachgelesen werden.

Boogie-Woogie

Es ist eigentlich ein absoluter Widerspruch, einen Boogie-Woogie-Abend als Musikfan zu besuchen und dabei still und unbeweglich in einer Kirchenbank zu sitzen. Schliesslich drehte sich bei dieser Stilrichtung ursprünglich alles, aber auch wirklich alles ums Tanzen. Wie so vieles in der amerikanischen Musik fusst auch der Boogie-Woogie auf der Musik von Afroamerikanern, die den Blues zu rassigen Tanzrhythmen weiterentwickelten. Der Boogie-Woogie war ganz auf das Piano ausgerichtet und konnte deshalb auch in jedem Lokal gespielt werden – einzige Voraussetzung war ein einigermassen gestimmtes Instrument und etwas Platz für diesen rasanten Tanz. Anfänglich nannte man diese Art von Musik „Barrelhous-Piano“, weil die hartarbeitenden Eisenbahnbauer nachts oft in Fässerdepots für Terpentinöl wahre musikalische – und oft vermutlich auch andere – Orgien feierten, dies als Ausgleich zur schweren Erwerbsarbeit. Interessierte können hier noch mehr über die Geschichte des Boogie-Woogie erfahren.

Das Hackbrett – ein Brett von Welt

Das Hackbrett ist in vielen Ländern bekannt. Es heisst mancherorts auch Psalter, Salterio, Pantaleon, Cymbalon oder Tympanon. In der Schweiz spielt man im Land rund um den Säntis gerne auf diesem Instrument, dies im Rahmen bekannter Streichmusik-Formationen wie etwa der Streichmusik Alder, aber auch verschiedener anderer Ensembles. Auch im Wallis ist das Instrument zuhause.

Grad kürzlich fand in der südkoreanischen Hauptstadt Soeul der Hackbrett-Weltkongress statt. Als einziger Schweizer war da Johannes Fuchs dabei, Sohn des legendären «Chlinn Fochsli» oder auch «Chli Fochsli» aus Meistersrüti bei Appenzell. Am Radio erzählte er ganz begeistert von einem Konzert mit 80 – !!! – Hackbrettspielenden auf einer einzigen Bühne. Das wäre in Oberuzwil allerdings ein kleineres logistisches Problem…

Nicolas Senn spielt ein von eben diesem Johannes Fuchs angefertigtes Hackbrett. Das Stimmen dieses Instrumentes ist eine äusserst heikle Angelegenheit, wie es der Hackbrettbauer Werner Alder – aus der vierten Generation der berühmten Alder-Dynastie – in diesem Bericht sehr anschaulich erzählt.

Konzertbeginn

«Was soll jetzt das?» fragten sich bestimmt viele Anwesende. Denn vorne im Chor hatte sich einzig Nicolas Senn an sein Hackbrett gesetzt – weit und breit kein Elias Bernet zu sehen. Wie sollte da das Hackbrett den Boogie-Woogie treffen können?

Der Pianospieler sitze eben noch im Pfarrhaus und lasse es sich gutgehen. Er seinerseits versuche nun, diesen mit seinen Hackbrettklängen in die Kirche zu locken. Und begann unverzüglich zwei «Stückli» zu spielen. Eines hiess «Quellerettli», eine Verballhornung der auf Französisch gestellten Frage: «Wie spät ist es? Quelle heure est-il?». Damit wollte er wohl seinen Musikerkollegen an seinen Auftritt erinnern.

Endlich kreuzte der Ersehnte auf. Erst betonte Bernet, dass auch er sehr wohl Volksmusik spiele, einfach solche aus Amerika. Mit «Light that Fire» gab er gleich eine Kostprobe. Doch nun war das Hackbrett verwaist. Deshalb kam das Publikum nochmals in den Genuss eines Boogie-Woogies «Better off with the Blues», ein eher melancholisches Stück mit fast etwas choralartigen Harmonien.

Musikalische Begegnung zwischen Hackbrett und E-Piano

Danach war endlich, endlich die Zeit für den musikalischen Dialog gekommen. Eine temporeiche Fahrt auf beiden sich klanglich so schön ergänzenden Instrumenten begann. Der Entertainer aus dem Film «Der Clou» – auch als «The Sting» bekannt und mit sieben Oscars gekrönt – passte da perfekt als Beginn einer Klangreise durch ganz verschiedene Gemütszustände.

Beim Dialog der beiden Instrumente freute man sich über die Virtuosität der beiden Musiker, aber auch über die unterschiedlichen Klangfarben, welche immer wieder zu einem herrlichen Ganzen verschmolzen. Und man hörte mit Vergnügen den kleinen musikalischen Sticheleien zu, die die zwei jungen Männer einstreuten.

Appenzellermusik

Freunde der Appenzeller Volksmusik kamen da ebenfalls auf die Rechnung, auch wenn die «Berewegge-Polka» plötzlich in einen rasenden Boogie-Woogie umschwenkte – sehr zur Freude des angeregten Publikums, das aufmerksam lauschte und bei schnellen Passagen mehr als einmal in wildes Klatschen ausbrach. Dem hielten die zwei Männer aber feine Passagen entgegen, sodass alles wieder still und andächtig wurde. Zum Hörgenuss trug auch ein Farbscheinwerfer bei, welcher ganz ruhig zwischen Rot, Grün und Blau wechselte und hinter den Musikern die Wände zwischen den Fenstern als mystische Säulen erscheinen liess.

Witzige Ansagen

Sowohl Nicolas Senn wie auch Elias Bernet schilderten in witzigen Einschüben ihre Leidenschaften. Manchmal kamen dabei auch liebevolle Spötteleien zum Zug. Einmal musste man allerdings fast Angst bekommen, als Nicolas Senn plötzlich sein «Sennehäss» – also sein rotes Gilet – auszog, wegwarf, Mitmusiker Elias Bernet gleichzeitig mit finsterer Miene seine Hemdsärmel hochkrempelte. Stand da eine Rempelei bevor? Glücklicherweise trugen sie ihren «Zwist» nur auf ihren Instrumenten aus. Grund für diesen «Kleiderfez»: «Duelling Banjo», ein Stück, das sehr ruhig, ja bedächtig beginnt, immer abwechslungsweise ein kurzes Thema vorgibt, welches vom Mitspieler aufgenommen wird, im Lauf der Darbietung aber immer mehr Fahrt aufnimmt und in wahnwitzigem Tempo endet.

Man kam manchmal fast nicht mehr nach, die Ruten des Hackbrettspielers noch zu sehen, aber auch Elias Bernet liess seine Finger über die Tasten jagen, dass man beim Zuhören fast das Atmen vergass. Hörte man nicht plötzlich die Melodie der berühmten «Steiner Chilbi» des legendären Volksmusikers Jost Ribary? Dass spitzbübisch manchmal auch Dissonanzen eingebaut wurden, erhöhte den Reiz für das Publikum noch. Mit jedem weiteren Stück gab es einen neuen Energieschub, der aber dank ruhigerer Klangpassagen den Puls wieder auf ein erträgliches Mass senken liess.

Publikumsbeteiligung

Das Publikum bekam gegen Schluss des Konzerts ebenfalls eine Aufgabe. Es sollte eine Jodeleinlage auf Kopfnicken der Musiker einbringen. So verbanden sich die Stimmen der Zuhörerschaft in kurzen Zurufen mit den dynamischen Rhythmen der beiden Künstler. Nicht verwunderlich war, dass auf Nachfrage der Journalistin keine «Playlist» zu bekommen war. Man habe einfach gespielt, meinte dazu Elias Bernet. So sollte es sein: Augenzwinkern – und schon weiss der Partner, was folgt. Noten braucht es dazu keine , denn alles ist im Kopf, in den Fingersätzen und im Herzen.

Kein Wunder, gab es zu Konzertende eine «Standing Ovation», worauf Senn 2 ½ Stunden Zugabe versprach. Er versprach ausserdem völlig risikolos eine kostenlose CD für alle, die schon an der Gründung der Donnerstagsgesellschaft anwesend gewesen seien. Mit einem Medley – mit Teilen aus dem Radetzkymarsch – in horrendem Tempo beglückten die Zwei ihr Publikum nochmals. Als das immer noch nicht Ruhe gab, begann Senn sehr offensichtlich zu gähnen. Mit dem Einschlaflied «Guten Abend, gut Nacht» – dank Komponist Johannes Brahms zu einem Evergreen unter den Einschlafliedern geworden – und dem altehrwürdigen «I ghöre n es Glöggli» , natürlich in einen Boogie-Woogie mündend, endete das grandiose Konzert.

Mit einem riesigen Applaus verdankte das begeisterte Publikum das Gehörte. Vor der Kirche gab es danach einen Ansturm auf den CD-Tisch – und lauter glückliche Gesichter bei allen Heimkehrenden.

Nächster Anlass für Mitglieder der Donnerstags-Gesellschaft Oberuzwil: HV am Donnerstag, 16. Januar 2025