Integration ist keine Einbahnstrasse
Rita Kobler-Emiko ist zertifizierte Migrationsfachfrau und in Wil schon lange keine Unbekannte mehr. Schliesslich gibt es hier -dank ihrer Initiative -beispielsweise einen tollen Chor, den IAS INTEGRATIONSCHOR. Unter dem Dach des 2007 gegründeten Vereins INSIDE AFRICA SWITZERLAND IAS erfreuen 35 Menschen verschiedenster Herkunft, unter der Leitung des pensionierten Zuzwiler Lehrers Walter Gysel und von Rita bei verschiedensten Anlässen ein begeistertes Publikum mit Liedern aus aller Welt.
Auf der sehr gefälligen Homepage des Vereins kann die Zielsetzung dieses ganz besonderen Chors nachgelesen werden.
Inside Africa – Inside Africa Switzerland (iaswiss.ch)
“Integration durch Austausch und gemeinsame Aktivitäten, schafft Verständnis und stärkt das Zusammenleben in der Schweiz.”
Der Chor ist für Rita Kobler eine Plattform für Begegnungen zwischen Menschen, egal woher sie kommen. Jede Person ist für sie einzigartig und unverzichtbar fürs Ganze. Das Singen verbindet Menschen, lässt Unterschiede in Status und Bildung verschwinden und tut Herz und Seele gut. Für diesen ganz besonderen Chor gab es 2018 in St.Gallen den Integrationspreis „GOLDENER ENZIAN“.
Persönlicher Hintergrund
Rita Kobler kam in Warri im westafrikanischen Bundesstaat DELTA in Nigeria zur Welt und besuchte dort auch die Schule. Ihr Vater legte grossen Wert auf Bildung und war deshalb sehr bedacht, seiner Tochter einen guten Schulunterricht zu ermöglichen. Die Mutter war leider schon sehr früh verstorben. Obwohl der Vater oft berufsbedingt abwesend war – er war Schiffsffskapitän -, hatte sie in ihrer Schwester jederzeit eine Ansprechperson.
Rita Kobler studierte auf Rat ihres Vaters an einer Universität weiter westlich im Bundesstaat Ogun einige Semester Jura und erwarb abschliessend ein Rechtsdiplom –DIPLOMA IN LAW.
Herkunftsland Nigeria
Nigeria ist mit 214 Millionen Einwohnern 22x so gross wie die Schweiz und damit der weitaus volksreichste Staat Afrikas. Von 1989 bis 2019 verdoppelte sich die Bevölkerung. Jährlich kommen 7 Mio. Babies zur Welt! In Nigeria leben unzählige Stämme und Volksgruppen, mit verschiedensten Religionen, Sprachen und Geschichten. Deshalb gibt es auch immer wieder Streitigkeiten um Land, Besitz und Grenzen – da ist es wichtig, dass sich wenigstens jemand in der Familie in Rechtsfragen auskennt. In manchen Bundesstaaten ist die politische Lage zudem sehr instabil, und besonders die arme Landbevölkerung leidet unter der Korruption, einem Uebel, das es nicht nur in Afrika gibt!
Bei uns kennt man, aus den Medien, vor allem Bauern- und Hirten-Konflikte und die Terrorgruppe Boko Haram, die ganz im Norden des Landes ihr Unwesen treibt. Immer wieder werden Kinder entführt und erst nach Lösegeldzahlungen freigelassen. Um dem Unrecht, der Armut und der Ohnmacht der Regierung entgegentreten zu können, studieren heute viele – zunehmend auch Frauen – Recht, aber auch medizinische Berufe, um ihrem Umfeld mehr Rechtssicherheit und Wohlergehen bieten zu können.
Lebensmittelpunkt Wil
Seit 2001 lebt Rita Kobler-Emiko mit ihrem Mann und ihren zwei Söhnen in der Umgebung von Wil. Laut eigener Aussage wird sie von ihrer Familie bei all ihren Aktivitäten unterstützt, was ihr ermöglicht, immer wieder Neues anzustossen. Sie kann aber auch auf ein engagiertes Team von Fachpersonen zählen.
Im Moment deckt die Fachstelle 20 verschiedene Sprachen und andere für die Betreuung von Migranten notwendige Fähigkeiten ab. Rita Kobler ist auch als interkulturelle Dolmetscherin tätig. Wichtig sind der Fachfrau gegenseitiger Respekt, Toleranz und Achtung, Ehrlichkeit, Vertrauen und eine gute „Feedback-Kultur“. Konstruktive Rückmeldungen helfen, das eigene Handeln zu reflektieren und – falls nötig – anzupassen.
Die ehemalige Nigerianerin ist in der katholischen Kirchgemeinde verwurzelt und fühlt sich von dieser getragen. Die Migrantenfachstelle ist jedoch politisch und konfessionell neutral.
Vielseitig ausgebildet
Der Werdegang von Rita Kobler beeindruckt. So hat sie nach ihrem Studium in Nigeria einige Zeit in französischen Stadt verbracht, um diese Sprache von Grund auf zu lernen. Ihre Muttersprache ist Englisch. Später kam Deutsch dazu, denn das Erlernen einer Landessprache ist für alle Migranten wichtig, weil sie den Zugang zu Einheimischen und zu Arbeitgebern öffnet. Die Frau hat ausserdem ein Diplom als Kauffrau EFZ erworben, eine Handelsschule abgeschlossen, und kürzlich hat sie Ihre Diplomarbeit „INTERKULTURELLE FAMILIENBEGLEITUNG UND FRÜHFÖRDERUNG“ eingereicht für das Diplom als Migrationsfachfrau. Vorbedingung für diese Ausbildung: 6 Jahre Berufspraxis im Asyl- und Migrationsbereich mit einem Anstellungsgrad von mindestens 50%, davon mindestens zwei Jahre im Migrationsbereich.
Migrantenfachstelle für Interkulturelle Sozialbegleitung und Kulturspezifische Belange
Frühförderung von Kindern
Bei all ihren Projekten ist es Rita Kobler ein Anliegen, dass Eltern aus dem Ausland die hiesige Kultur verstehen lernen und übermässige Erwartungen abbauen. Eine solche Aufklärung über das Schweizer Schulsystem, über Gepflogenheiten im Alltag oder Fragen der Kinderrechte sowie über Gleichstellung sollte möglichst früh in der jeweiligen Muttersprache passieren. Mit ihrer interkulturellen Fachstelle will sie Brücke zwischen Menschen und Kulturen sein und so zur sozialen und beruflichen Integration beitragen. Sie hat gelernt, dass Menschen aus dem Ausland kaum in der Lage sind, sich hier einzubringen, solange sie die Schweizer Kultur nicht verstehen können. Das heisst jedoch keineswegs, dass diese Menschen ihre Herkunftskultur völlig ablegen sollen – Heimat bleibt Heimat! Aber es hilft sehr, wenn man weiss, was von Eltern hierzulande beim Eintritt ihrer Kinder in den Kindergarten oder in die Schule erwartet wird. Und das soll möglichst in der Muttersprache dieser Familien geschehen.
Im Team der Fachstelle gibt es für diese wichtigen Aufgaben 23 Brückenbauerinnen und Brückenbauer, alle zertifiziert. Im Augenblick sucht sie für das Team noch eine Fachperson Psychologie! Rita Kobler schwebt zudem vor, die Migrantenfachstelle schweizweit weiter zu entwickeln.
Interkulturelle Brückenbauer
Als Interkulturelle Brückenbauer gelten Frauen oder Männer mit einem Migrationshintergrund, die über spezifische fachliche Kompetenzen und Ressourcen verfügen. Dank diesem Hintergrund – sie kennen ja „beide Seiten“ – können sie spezifische Gruppen der Migrationsbevölkerung erreichen und dort schneller Vertrauen gewinnen und Gehör finden. Das Team nimmt verschiedene Rollen ein, sei es im Sinne einer Begleitung, einer interkulturellen Vermittlung, Coaching im Bereich der Frühförderung oder einer Übersetzung. Die Fachstelle möchte die Fachinstitutionen mit wichtigem Wissen und Informationen über die diversen Kulturen versorgen und spezifische Expertisen für diese erstellen.
Kompetenzen nutzen – keine Defizitkultur
In Nigeria wird das Leben von Erzählungen geprägt. In diesem Riesenland gibt es unzählige verschiedene Kulturen. Eigenes Tun überdenken und persönliches Handeln danach möglicherweise ändern gehört allerdings kaum dazu. Dafür nimmt man sich viel mehr Zeit für Prozesse. In der Schweiz ist vieles äusserst strukturiert, was viele Abläufe erleichtert. Beide Kulturen können voneinander lernen, denn jede Migrantin, jeder Migrant bringt ganz viele Ressourcen und Kompetenzen mit, die unbedingt genutzt werden sollten. Schweizer und Schweizerinnen können sich damit öffnen und neue Horizonte erschliessen! Rita Kobler bedauert es, wenn in dieser Hinsicht noch immer vieles brachliegt. Mit dem Einbezug dieses „Schatzes“ könnte viel Geld und Zeit gespart werden, findet die Fachfrau. Gut integrierte Migranten sollten unbedingt als „Scharnier“ zwischen den Einheimischen und neu zugezogenen Migranten eingesetzt werden, damit Misstrauen abgebaut und Vertrauen aufgebaut werden kann.
Bildung für nigerianische Kinder
Weil sie selber einen guten Bildungsrucksack bekommen hat, ist es der initiativen Frau auch ein grosses Anliegen, in dieser Hinsicht etwas für ihr Heimatland zu tun. Als ihre Schwester sie 2011 besuchte, bereiteten die zwei Frauen nigerianische Köstlichkeiten zu und verschenkten diese in den Strassen Wils. Sie sammelten damit Geld für benachteiligte Kinder im ländlichen Teil Nigerias.
Sie gründete eine Schule in Kunbi im Staate Oyo in Südwest-Nigeria. Aus dem Startkapital von Fr. 800.00 hat sich mittlerweile eine Schule mit ca. 300 Kindern entwickelt, betreut vor Ort von Rita Koblers Schwester. Heute wird das Schulprojekt Nigeria vom Verein IAS betreut. Rita Kobler leitet da den Vorstand. Sofern es die politische oder gesundheitliche Lage erlaubt, besucht sie diese Schule regelmässig. Aktuell arbeitet der Verein an der Finanzierung eines neuen Schulhauses, mit Patenschaften und Spenden!
In Wil hat sie unterdessen eine Fachstelle für interkulturelle Beratung und Begleitung ins Leben gerufen. MIFA – Fachstelle für interkulturelle Beratung und Begleitung