Schockstarre in der Bibliothek Uzwil
Den Nachmittag des 13. März 2020 werden die Frauen des Bibliotheksteams Uzwil bestimmt nie mehr vergessen. Am frühen Nachmittag war nämlich vom BAG – mittlerweile vermutlich allen hierzulande vertraute Abkürzung für BUNDESAMT FÜR GESUNDHEIT – verordnet worden, dass alle Bibliotheken aufgrund der akuten Bedrohung durch das das Corona-Virus per SOFORT schliessen müssten.
Hatten die verstörenden Bilder aus dem tausende Kilometer entfernten Wuhan noch wenig Angst gemacht – schliesslich weit, weit weg – so änderte sich mit dem Näherrücken der neuen Bedrohung durch Berichte aus Bergamo und Ischgl sehr schnell alles. Bis zum Abend blieb das Bücherparadies noch offen, darauf war für lange Wochen Schluss.
Völlig neue Arbeitsbedingungen
Laut Bibliotheksleiterin Jolanda Erismann befand sich das Team die erste Woche nach diesem vom Bundesrat verordneten sogenannten Lockdown in einer Art Schockstarre. Büroarbeit wurde mit dem gebotenen Abstand zwar weiterhin gemacht. Schon bald aber entwarf die Leiterin einen Aufgabenkatalog, um die Leserschaft weiterhin mit Büchern versorgen zu können und einen sinnvollen Arbeitsablauf nach den neuen Regeln zu planen.
Bücher wurden, falls nötig, restauriert, daneben wenig gefragte oder stark beschädigte Exemplare ausgemustert. Um den Lesehunger vieler zuhause „eingesperrter“ Bibliotheksmitglieder dennoch stillen zu können, stellten die Frauen ein neues Angebot zur Verfügung. Telefonisch konnten Bücherausleihen bestellt werden, bis zu 8 Medien auf einmal. Diese richteten die Bibliotheksmitarbeiterinnen in Taschen und luden im Fünfminutentakt zum Abholen ein. Das verlangte grossen Einsatz, wurde aber auch sehr geschätzt und deshalb rege benützt. Wer gerne auf elektronischen Geräten liest, konnte auch Dibiost Elektronische Ausleihe Dibiost benutzen. Das habe gut geklappt, freut sich das Team.
Schutzkonzept
Der Bund gab ein Schutzkonzept vor. Der schweizerische Bibliotheksverband Bibliosuisse erstellte eine praktikable Vorlage für seine Mitglieder. Diese Liste wurde vom Uzwiler Team in Zusammenarbeit mit der Gemeinde Uzwil auf die hiesigen Verhältnisse angepasst. Alle Medien – Bücher, Filme, Zeitschriften – müssen seit diesem Stichtag im Aussenbereich in den Behälter für die Medienrückgabe eingeworfen werden. Dort werden sie entnommen, abgebucht, in eine Kiste verpackt und dort 3 Tage liegengelassen. Erst muss aber noch jede Buchoberfläche mit Brennspiritus gereinigt werden. Und drei Tage lang weiss niemand genau, welche Bücher in welcher Kiste sind. Das verlangsamt den Betrieb und bringt einen grossen Aufwand mit sich.
Die Oberflächen mussten anfänglich jede Stunde desinfiziert werden, dank der Lockerungen sind die Intervalle unterdessen etwas länger geworden. Für das Publikum wurden klar sichtbare Anweisungen vor der Bibliothek angebracht, dazu ein – angebundenes – Desinfizierungsmittel aufgestellt und eine Einbahnregelung vorgenommen. Es wird gewünscht, dass das Publikum sich nicht lange in den Bibliotheksräumen aufhält. Aus Sicherheitsgründen gibt es im Augenblick keine Sitzgelegenheiten mehr.
Nach Wiedereröffnung
Seit der Wiedereröffnung wurden klare Regeln für das Team erlassen. So ist immer eine Frau für die Ausleihe und eine für die Rücknahme – herausnehmen aus dem Rückgabebehälter, abbuchen, in die Kiste packen – zuständig. Die Kisten werden mit dem Tag der Rücknahme beschriftet. Die Mitarbeiterinnen gehen nicht zwischen die Gestelle, weil da der Abstand nur sehr schwer eingehalten werden kann.
Regelung der Besucherzahl
Es gibt ein einfaches Mittel, nie mehr als 30 Leute in die Bibliothek einzulassen, das bedeutet „10 m2 pro Person“. Man nimmt beim Eingang eine laminierte Nummer mit und gibt die beim Hinausgehen wieder ab. Gibt es keine Zettel mehr im Nummernkörbchen, muss man draussen warten, bis jemand durch die Ausgangstüre heraustritt. Das klappe sehr gut, weiss Jolanda Erismann.
Dankbare Leserschaft
Jolanda Erismann freut sich, dass gerade in der ersten Zeit des Stillstands ihre Dienste sehr gefragt und die Kundschaft äusserst dankbar war. Die ausrangierte Swisscom-Kabine in der Badi Uzwil wurde in andern Jahren jeweils mit Büchern gefüllt, die nicht älter als fünf Jahre seit ihrem Erscheinen sein dürfen. Diese Bücher wurden von Kundinnen und Kunden der Bibliothek geschenkt. Und wo hat man mehr Zeit zum Lesen als in der Badi? Doch dieses Jahr musste auch dieses Vergnügen aus den genannten Gründen gestrichen werden…
Ressortsystem beim Büchereinkauf
Die Uzwiler Bibliothek hat rund 2100 Kundinnen und Kunden. Diese können von überall herkommen. Die „Einheimischen“ geniessen einen Preisvorteil gegenüber den „Auswärtigen“, weil die angeschlossenen Gemeinden sich ebenfalls an den Kosten beteiligen. Das Team verfügt über ein jährliches Budget von 50‘000.00 Franken. Für die einzelnen Bereiche ist je ein Teammitglied zuständig. Kundenwünsche werden zum grössten Teil erfüllt, es dürfen jedoch keine alten Bücher sein. Buchbesprechungen in Zeitschriften geben ebenfalls Anregungen für neue Titel, zudem stellt eine Buchhandlung Bücherkisten mit Neuerscheinungen zusammen, welche die Bibliothek so übernimmt. Schwerpunkte: Belletristik, Bestseller, Krimis, Kinderbücher, Bilderbücher, Bücher von allgemeinem Interesse, auch fremdsprachige Bücher – vor allem englische – findet man in der Uzwiler Bibliothek.
Schulklassen in der Bibliothek
Rund 40 Schulklassen im Einzugsgebiet von Uzwil besuchen in einem bestimmten Turnus die Bibliothek. Mehrere Wochen konnten sie nun leider gar nicht mehr kommen. Auch noch jetzt, nach den Lockerungen, ist ein Besuch mit einer ganzen Klasse schwierig. Die Bibliothek hat dafür im Augenblick ein Zeitfenster von acht bis neun Uhr festgelegt. Lesen ist schliesslich eine absolute Kernkompetenz für eine erfolgreiche Ausbildung. Bibliotheken leisten dazu einen wichtigen Beitrag.
Abgesagte Anlässe
Immer wieder finden in der Bibliothek Uzwil spannende Anlässe statt. So hätte es auch diesen Frühling sein sollen. Anlässe mussten ausfallen, so zum Beispiel einer mit der Buchbloggerin Annette König, die zusammen mit dem Kulturvermittler Urs Heinz Aerni hätte auftreten sollen. Auch der Bücherflohmarkt oder die bereits erwähnte Bestückung der Badi-Bibliothek in der Telefonkabine fielen dem Virus zum Opfer. Und da die Fussball-EM auf den nächsten Sommer verschoben wurde, gibt es auch keine Paninibilder-Tauschbörse. Manche Vorhaben wurden auf später verschoben, doch ist auch jetzt noch vieles im Ungewissen. Zum Glück sind die Teammitglieder flexible Frauen und passen sich laufend den Veränderungen an. Das Publikum freut sich darüber.
Verabschiedung
Ohne grosses Aufsehen wurde Ruth Aschmann nach 22 Jahren Mitarbeit im Bibliotheksteam am 27. Mai verabschiedet. Sie war seit 1998 – dem Eröffnungsjahr der Gemeindebibliothek Uzwil – dabei und liebte laut eigener Aussage ihre Arbeit bis zum letzten Tag. Sie war bei Alt und Jung mit ihrer Kompetenz und ihrem freundlichen Auftreten sehr geschätzt. Aufgrund der vielen Einschränkungen fand die Verabschiedung in kleinem Rahmen bei einem Apéro mit dem Team und in einer separaten kleinen Feier auch mit den für die Bibliothek Zuständigen der Gemeinde Uzwil statt. Für Ruth Aschmann steht seither Sandra Weingart hinter dem Bibliothekstresen.