Vorhang zu für das Flawiler Nachtcafé

Vorhang zu für das Flawiler Nachtcafé

13. November 2013 Aus Von Annelies Seelhofer-Brunner

Rückblick auf 20 Jahre Kulturangebote – 13.11.2013

Vor ziemlich genau 20 Jahren fanden zwei Frauen, in Flawil fehle einfach ein Angebot an Kultur und Frauenangeboten. Helga S.Giger und Barbara Saladin entschlossen sich, ein solches aufzuziehen. Sie nannten ihre Anlässe „Nachtcafé“, eine Anlehnung an die Sendung am SWR-Fernsehen. Nach 20 Jahren ist nun Schluss. Dieser Abschied wurde mit zwölf ehemaligen Gästen und dem jetzigen Team gebührend gefeiert.

Helga S. Giger, Susanne Brefin, Werner Angst, Christof Hotz – von links, eine Aufnahme aus dem Jahre 2013.

Das Nachtcafé-Team

Waren es anfänglich nur Helga S. Giger und Barbara Saladin, die sich für kulturelle Anlässe in Flawil engagierten – lange Zeit im Café Giger, bis das Nachtcafé ins neue Kulturlokal im Restaurant Park zügelte. Hier hatte der gebürtige Albaner Quashif Ismaili mit seiner Frau Hanife das Szepter übernommen und innert kürzester Zeit grosse Akzeptanz bei der Flawiler Bevölkerung erlangt. Menschen, die in einem Restaurant einkehren, wünschen gutes Essen und freundliche Bedienung. Beides bieten die Ismailis. Da passte das Nachtcafé wunderbar dazu.

Kurze Zeit taten auch Cornelia Buder und Ornella Steinmann mit, zwei Jahre zudem Marina Wismer. Später engagierten sich Susanne Brefin (2004), Werner Angst (2006) und Christof Hotz (2008). Diese vier Personen stellten seit damals Jahr für Jahr ein Programm mit herausfordernden Themen zusammen. Nach 20 Jahren fand Helga Giger, für sie sei es nun genug. Die restlichen Drei konnten sich ein Nachtcafé ohne Gründermutter Helga nicht vorstellen, damit war der Schlussakt besiegelt.

Vielfältiges Schlussprogramm

Eigentlich war das letzte Nachtcafé eine Art „Best-Of“ – wenn auch ganz ohne „Ranking“, d.h. Bewertung nach Punkten -, ein Wiedersehen mit Künstlerinnen und Künstlern aus Programmen vergangener Jahre. Dass ausgerechnet der Slammer Richi Küttel wegen Krankheit absagen musste, war natürlich doppelt schade, hatte doch seinerzeit die erste Poetry-Night in Flawil hohe Wellen geschlagen. Doch neun weitere Menschen in unterschiedlichen Disziplinen brachten ein buntes Mosaik an kreativen Beiträgen mit. Auch Emmi Stark, früher guter Geist des Nachtcafés, konnte leider nicht mitfeiern.

Moderation durch Christof Hotz

Christof Hotz hat man im Nachtcafé noch überhaupt nie in derart festlicher Robe gesehen. Mit seiner dunkelroten Fliege auf blütenweissem Hemd und dem Anzug aus feinstem Tuch war er auch kleidermässig gerüstet für den Schlussakt. Die Gage für jede auftretende Person bestand nämlich aus einer mit Süssigkeiten gefüllten Urne, schliesslich wurde da eine kulturelle Tradition zu Grabe getragen.

Er leitete von einem Beitrag zum nächsten über und brachte oft durch einen eigenen das Gesehene oder Gehörte noch genauer auf dem Punkt. Picasso habe gesagt: „Kunst wäscht den Staub des Alltags von der Seele“. Und genau dies taten alle Mitwirkenden an diesem ganz speziellen Abend.

Barbara Saladin

Wer Barbara Saladin zu Beginn des Nachtcafés erlebt hatte, konnte im Kulturkeller des Restaurants Park vom 13. November 2013 feststellen, dass da noch immer das gleiche Herzblut vergossen wird für Frauenthemen, für präzise Sprache und für Geschichten, die das Leben schrieb. Engagiert berichtete sie von den Anfängen dieser unterdessen zur Institution gewordenen Erfolgsgeschichte. Doch nach neun Jahren zog sie weiter. Aber zu sagen hat sie weiterhin ganz viel – siehe auch ihre Homepage.

Wortbeiträge

Cornelia Buder trug kurze, prägnante Texte aus der eigenen „Wortwerkstatt“ vor. Ihre philosophischen Gedanken regten zum Nachspüren an. Wer in der Langeweile badet, bekommt möglicherweise plötzlich einen neuen Gedanken. Dabei schimmerte immer das Thema HOFFNUNG durch, so auch in folgender Erkenntnis „Ich halte trotz allem am tiefroten Sonnenuntergang fest, selbst wenn das Unbehagen Wohnung nimmt in der Unlust.“

Das Trio OHRENHÖHE mit Rene Oberholzer, Eva Philipp und der Flawilerin Helen Knöpfel liess mit Liebesbriefen aller möglichen Arten aufhorchen. Wer hat denn schon einmal daran gedacht, dass sich ein Pfarramt als Kuppeldiener eignen könnte? „Sitzt immer in der siebten Reihe in der Messe, bitte überbringen Sie ihm diesen Brief“, war in einem solchen Brief zu lesen. Auch ganz Unverblümtes kam zur Sprache, so beispielsweise ein missverstandenes Beichten. Einer bot sich gar als viel bessere Genvariante an, als er die hochschwangere Gisela antraf. Es gab viel zu lachen ob all der skurrilen Einfälle dieses Trios. Vielleicht haben sie damit auch den einen oder anderen Anstoss gegeben, wer weiss?

Liedermacher

Richi Widmer ist mit seiner Gitarre sozusagen verwachsen. Mit seinem Lied „Lass mich in der Mitte sein“ schlug er nachdenkliche Töne an. Wenn Hundefutter teurer ist als Essen für die Menschen, dann stimmt etwas nicht mehr, ist sich Widmer sicher. „Mit Vernunft und Toleranz gewinnen wir Substanz“, eine Vorstellung, die bestimmt sehr vernünftig ist, aber nicht immer leicht umzusetzen. Er fragte sich auch, ob ein studierter Chef tatsächlich ein so viel bedeutenderer Mensch sei als ein gewöhnlicher Arbeiter. Assoziationen zum gerade tobenden Abstimmungskampf um die 1:12-Initiative kamen da unweigerlich auf…

Auch Christoph Ackermann trug Lieder vor. Zwar singe er nicht mehr die gleichen Lieder wie damals, aber die Gitarre sei noch genau dieselbe wie 1998 an jenem Liederabend, verriet er mit verschmitzter Miene. Erst liess er sich über frühere Zeiten aus, als der Sicherheitswahn noch nicht derart überhandgenommen hatte wie heute, als man noch Kaugummi teilen und im Wald ganze Nachmittage verbringen konnte ohne irgendwelche Aufsicht, weder GPS noch Helm mitnehmen musste und keinen Sonnenschutzfaktor studieren musste, dann kam er auf Helga Giger zu sprechen. Sein Lied „I bin en Siebesiech“ begann als Heldenepos auf ihn selber, schwenkte dann zur guten Fee des Nachtcafés – eben Helga Giger – um und verglich sie mit Heldinnen wie Jeanne D’Arc oder Eveline Widmer-Schlumpf, „Siebesiech“ eben, keineswegs als Fluchwort gemeint, sondern im Gegenteil als allerhöchste Auszeichnung.

Jugend

Die blutjunge Stephanie Angst hatte ein Gedicht ausgegraben, welches sie mit 10 Jahren verfasst hatte. Am Klavier machte sie sich dann singend und spielend Gedanken zu Illusion und Wirklichkeit. Man musste sehr aufpassen, um all die Wendungen um den veränderten Standpunkt auch mitzubekommen. „Träume sind Schlüssel zur Wirklichkeit“ sang sie, „es gibt eine Welt, wo Liebe und Verstand gehen Hand in Hand“. Christof Hotz ergänzte: „Und in Wirklichkeit ist die Realität doch ganz anders.“

Film

Auch ein kurzer Film wurde gezeigt, gedreht von Stephan Herzer aus Heiden. Von sehr angenehmer Stimme und meist in Verse verpackten Erklärungen hinterlegt genoss beobachtete das Publikum die seltsame Reise eines Kometen. Die bewegten Bilder führten aus dem Alltag hinaus in die Weiten des Universums und liessen die Menschen im Park für einen Augenblick ganz klein und unbedeutend zurück. Manchmal fühlt man sich ja selber so wie ein herumfliegender, von Trümmern umzingelter Brocken, der von Schicksalsmächten irgendwohin geschubst wird.

Dieser Beitrag bot vor allem für Augenmenschen einen willkommenen Ausgleich zu den mehr auf das Hören ausgerichteten übrigen Beiträgen und rundete damit das künstlerische Kaleidoskop an diesem Abschiedsabend ab.

Sprechoper

Wie man eine simple Aufforderung, WC-Enten-Behälter richtig zu entsorgen, in eine Sprechopfer verwandeln kann, das führten Andrea Martina Graf und Brigitte Meyer äusserst anschaulich vor. Während Brigitte Meyer mit ihrem Cello den unerlässlichen „Sound“ erzeugte – was zwar meist mehr wie eine Katzenmusik tönte, sehr gewollt natürlich!? – sprach, sang und drückte ihre Kollegin den Text aus der Kehle, immer mal wieder auch stimmlich unterstützt von der Cellistin. Man musste alle Sinne beisammen haben, um die Wortfetzen, Wortstummel und Äusserungen rund um das brennende Thema Littering auch zu verstehen.

Brigitte Meyer trat kurz darauf gleich nochmals auf, diesmal mit dem Rücken zum Publikum, eifrig das Cello streichend. Ursula Höhn versuchte derweilen mit atemberaubenden Gesten und allerhand Verrenkungen die Aufmerksamkeit der in sich versunkenen Bühnenpartnerin zu erwirken. Fehlanzeige! Irgendwann wachte die Frau am Cello wieder aus ihrer Versunkenheit auf, drehte sich und begann in wildem Rhythmus zu spielen. Dieser wurde von Ursula Höhn aufgenommen, bis sie probierte, auf neckische Weise den Geigenbogen zu fangen. Sehr poetisch, diese Slapstick-Einlage!

Verabschiedung von Helga S.Giger

Helga Giger gab einen kurzen Überblick über die finanzielle Seite des Nachtcafés. Stolz berichtete sie, dass dieses nie irgendwelche öffentliche Gelder bekommen habe, sondern einzig hie und da einen kleinen Zustupf von privater Seite. Angefangen hatte alles mit einem Sparsäuli auf einem Stuhl. Und ob zwei Personen oder siebzig die Angebote genutzt hätten, sie hätten unbeirrt weitergemacht, bis irgendwann Eintritt verlangt wurde. Mit einem Original-Dresdener-Christstollen beschenkte sie ihre Teammitglieder der letzten Jahre. Als äusserst sympathische Geste überreichte sie auch Hanife Ismaili, der Park-Gastgeberin, einen festlichen Blumenstrauss als Dank für die letzten Jahre voller Gastfreundschaft im Keller des Restaurants.

Zum Schluss sang Helga Giger eines ihrer tiefsinnigen Lieder, sich selber an der Gitarre begleitend. Ihr Thema seien Reiseträume, was ihr klargemacht habe, dass sie jetzt weitergehen müsse, was ihren Abschied vom Nachtcafé bedeute. „Reisen ist Suchen, ist Flucht – und ein Abschied ist’s auch…“ Spätestens beim nächsten Cabaret Spätlese wird Helga S.Giger wieder in ihrem Element sein und Menschen mit klugen Gedanken gehobene Unterhaltung bieten, gut eingebettet in die bewährte Spätlese-Truppe. Flawil darf sich darauf freuen!

Barbara Saladin

Bericht von Annelies Seelhofer-Brunner -, damals veröffentlicht auf Infowil, dort heute leider nicht mehr zu finden – am 13.11.2013.