Was für ein Streich-Spektakel in Müntschisberg!

Was für ein Streich-Spektakel in Müntschisberg!

7. Dezember 2024 Aus Von Annelies Seelhofer-Brunner

Der Flyer der Bibliothek Uzwil versprach «Heilige Streiche», eine Lesung mit Marcel Huwiler. Doch nichts da, denn der Autor verwandelte dies in eine Art Theater, dem das Publikum atemlos folgte. Offenbar ist er ein äusserst kommunikativer Mensch, der auch jedes erhaltene E-Mail sorgfältig beantwortet. So musste er, wie er gestenreich schilderte, sich kürzlich eine zünftige Rüge gefallen lassen. Wo denn dieses Müntschisberg sei, wurde er gefragt. Seine Frau wolle dorthin fahren, aber das Dorf sei ja nirgends auf der Landkarte zu finden. Der arme Mann war total enttäuscht, ja richtig aufgebracht, als er erfahren musste, dass es diesen Ort nicht gebe. Darauf kühlte die Korrespondenz ganz schnell ab.

Darbietung

Es verbietet sich also, Huwylers Auftritt als «Lesung» zu bezeichnen. Denn normalerweise wird bei einer solchen ein Buch in der Hand gehalten und daraus vorgelesen, dies mit dem einen oder andern Blick ins Publikum. Doch der Autor machte das ganz anders. Mal stand er auf, mal sass er – und kaum hatte man eine Sekunde nur zugehört, aber nicht hingeschaut, da stand er bereits wieder. Mit weit ausladender Gestik beschrieb er das eben Gelesene. In der Ich-Form lebte da sein ICH als Bub auf, Sohn einer Wirtsfamilie im «Tapferen Gaul» – wäre doch mal ein Wirtshausname! – und zeichnete ein wahres Idyll einer Dorfgemeinschaft. Alles wurde eindrücklich geschildert. Allerdings bekam dieses Bild bald arge Risse. Man spürte dabei die Freude des Autors an den skurrilsten Boshaftigkeiten. Er schmückte aus, vermutete, rollte die Augen und spielte mit der Stimme.

Nicht nur kleine Streiche

In diesem Müntschisberg ging es also nicht unbedingt zimperlich zu. Der Autor hat den einen oder andern Streich vermutlich selbst erlebt – oder vielleicht gar ausgeführt? Dumm nur, dass nie die Person, die den Streich spielte, ausfindig gemacht wurde, sondern jede und jeder einfach jemand Anderen, völlig Unschuldigen, mit neuem Ungemach «erfreute». Manches ist auch heute topaktuell. Denn es gibt – so munkeln manche – noch heute Bauern, die genau dann die Gülle ausbringen, wenn die Nachbarin die Wäsche aufgehängt hat. Als aber nach vielen unguten Vorfällen selbst das kleine Hündchen des Pfarrers vermeintlich Opfer eines derartigen Streichs wurde, riss diesem der Geduldsfaden. Kurzerhand sagte er die Mitternachtsmesse «wegen Hexenschuss» ab.

Puzzlespiel rückwärts

Manchmal braucht es jemanden von aussen, bis sich eine ungute Situation entschärfen kann. Im Restaurant zum «Tapferen Gaul» nächtigte kurz vor Weihnachten ein bärtiger, grossgewachsener Typ. Was lag da näher, als diesem die Schuhe mit frischen Schnee zu füllen? Gedacht, getan! Doch oha! Der Bub wurde auf frischer Tat ertappt. «Nun wird bestimmt ein Donnerwetter losgehen, die Eltern werden es erfahren, alles geht den Bach runter, und das ganz kurz vor Weihnachten!» Er versuchte, den Mann mit Schnaps aus dem Keller von solchen Taten abzubringen, doch all seine Bestechungsversuche liefen ins Leere. Vermutlich mochte der Mann gar keinen Schnaps.

Dafür verknurrte er den Spitzbuben dazu, sich für einen andern Streich beim damit Geärgerten zu entschuldigen. Sami, wie der Bub in der Geschichte heisst, kenne sicher das Dominospiel. Nur irgendwo antippen – und schon fallen alle Steine um. Der Bub verstand und ging, wenn auch anfänglich sehr ungern, zum Bäckermeister Käppeli. Die anfänglich recht zögerlich begonnene Beichte endete mit einer grossen und erfreulichen Überraschung. Damit wurde im so zerstrittenen Dorf eine neue Ära eingeleitet. Alle schienen auf Entschuldigungstour zu sein. Als gar das verlorengegangen geglaubte Hündchen in einem Loch entdeckt und dem Pfarrer nass und schmutzig wieder vorbeigebracht wurde, da konnte dieser nicht anders. Er erklärte sich wie durch ein Wunder spontan geheilt und fit genug, um doch eine Weihnachtsmesse abzuhalten. Und so kehrte in Müntschisberg schliesslich doch noch wahre Weihnachtsfreude ein.

Wie wär’s mit einer Samichläusin?

Ums Himmelswillen, nur das nicht! Auch hier ging die Fantasie mit dem Autor auf abenteuerliche Weise durch. Eine Frau Professor Doktor Sprachforscherin staunte nämlich, dass man in Müntschisberg von einer «sturen Eselin» spricht, wenn man einen sturen Esel meint. Doch das hat seinen Grund. Und er hängt mit einer sturen Frau zusammen, einer Bündnerin, die sich ins doch eher fremdenfeindliche Dorf nahe am Hauenstein wagte. Da gab es den Schmiedemeister Hungerbühler. Wie Huwyler diesen Typen in seinem Buch fantasievoll und wortgewaltig beschreibt – einfach herrlich. Seine Schilderung vor der Zuhörerschaft – ein einziges Theater!

Der Schmied bestach vor allem durch seine Haarpracht und seinen Walrossschnauz, welche ihn zum idealen Samichlaus machten. Während Jahrzehnten war er mit einem mürrischen Schmutzli und dem Esel Patrick am 6. Dezember unterwegs. Patrick war allerdings eine Sie, eine Eselstute. Doch eines Sommers fiel Hungerbühler von einer Leiter und verstarb. Die Gemeinde übernahm das Haus, suchte dafür einen Mieter. Der Esel musste allerdings übernommen werden. Eine Frau meldete sich. Ladina Caflisch, eine Bündnerin! Was, eine Zugezogene!? Mancher rümpfte die Nase. Die Dorfkinder jedoch schlossen die Frau sofort ins Herz. Der Esel hiess jetzt Patricia. Und – man ahnt es bereits – es gab Probleme, als wieder Chlaustag war. Der Esel tat bei allen Nikolausanwärtern bockig, nur bei Ladina war er lammfromm. So kam es, dass schliesslich Ladina als Samichlaus durchs Dorf zog, ohne von den Kindern «enttarnt» zu werden. Seit dieser Zeit ist in Müntschisberg eben alles, was bockt oder trotzt, «eine sture Eselin». Die Zuhörerschaft verdankte die lebendigen Schilderungen mit einem starken Applaus.

Zum Büchlein HEILIGE STREICHE

Dieser Ausdruck ist mit Absicht gesetzt. Denn es ist tatsächlich nur ein schmales Bändchen in Paperback-Format mit neun ganz unterschiedlichen Geschichten. Jede hat einen aufklärerischen Kern, ohne jedoch mit der Pädagogik-Keule zuzuschlagen. Weil der Autor einige Zeit lang als Lehrer arbeitete, könnte das möglicherweise naheliegend sein. Nicht aber bei Marcel Huwyler! Was da geschildert wird, hat «Fleisch am Knochen», ja richtig «Saft». Und die Wortwahl ist blumig, mit vielen Adjektiven – in der Primarschule hiess das noch «Wiewort» – geschmückt, die Bilder hervorrufen.

Man ist sofort im Geschehen drin, kann die Geschichten fast wie einen Film geniessen. Jede Kurzgeschichte hat auch einen tieferen Sinn. Themen wie Reue, Vergebung, Einschluss von Menschen mit beschränkten Mitteln oder auch Liebe schimmern irgendwie immer durch, ohne aufdringlich zu sein. Das Buch eignet sich sehr gut als Weihnachts-Vorlesebuch für grössere Kinder, kann aber bestimmt auch in einem Betreuungsheim Freude auslösen.

Die Zuhörerschaft verdankte  die lebendigen Schilderungen mit einem starken Applaus. Und wie immer gab es nach dem pünktlich nach einer Stunde endenden Hör- und Schaugenuss einen Apéro. Bibliotheks-Angestellte sind jeweils dafür besorgt. Und das Gehörte gibt jeweils ebenfalls Anstoss zu der einen oder andern Bemerkung.

Buchsignierung

Die Buchhandlung GUTENBERG aus Gossau ist an solchen Lesungen meistens mit einer Auswahl an Büchern des Autoren oder der Autorin vor Ort. Buchhandlungsleiter André Wigger hatte auch diesmal eine Auswahl an Huwyler-Geschichten auf der Bibliotheks-Theke ausgebreitet. Das Angebot fand guten Zuspruch. Wer ein solches Geschichtenbuch kaufte und eine Signierung wünschte, wurde von Marcel Huwyler nochmals beschenkt, denn seine Widmung mit einem weichen dicken Farbstift sieht selbst wie ein gemaltes Kunstwerk aus. Auch hier brauchte der Mann Raum, schreibt er doch in ziemlich ausladender Weise.

Über Weihnachten und Neujahr ist die Bibliothek geschlossen.