Was man verschenkt, ist nie verloren

Was man verschenkt, ist nie verloren

5. Dezember 2019 Aus Von Annelies Seelhofer-Brunner

Stimmungsvolle Adventsfeier des Frauenvereins Niederuzwil

Schon beim Betreten des Foyers fielen kleine Grüppchen von herzigen, wunderschön verpackten Päckli auf. Noch grösser wurden die Augen der Besucherinnen dann im Saal selber. Die ganze Bühne voller grösserer und ganz grosser Pakete, auch diese schön verschnürt und gefällig zusammengestellt. Hingezaubert hatte diese geheimnisvollen Geschenkpakete das Vorstandsmitglied Jolanda Würth, zusammen mit der ehemaligen Handarbeitslehrerin Barbara Bachmann aus Flawil, in vielen Stunden Fleissarbeit. Nur: Woher kamen denn all die vielen Schachteln? Und vor allem: Was war in all diesen Paketen enthalten?

Das Geheimnis lüftete sich, als Marianne Pessina in ihrer Begrüssung auf den Inhalt zu sprechen kam. Die Päckli enthielten nichts, aber auch gar nichts als einzig Luft, sie seien jedoch mit viel Wohlwollen, guten Gedanken und liebevollen Emotionen wie Zuwendung, aber auch Hoffnung gefüllt. Marianne Pessina ist im Vorstand für den Kontakt nach aussen und die Koordination nach innen zuständig – der Verein hat keine offiziell benannte Präsidentin. Zum Lachen brachte sie die rund hundert mitfeiernden Frauen, als sie auf ihre Perlenkette hinwies und belustigt eine Anekdote dazu erzählte. Sie habe einmal im Kindergarten zu tun gehabt und damals genau die gleiche Kette getragen. Da habe ein kleines Mädchen ausgerufen: „Gell, diese Kette hast du aus dem „Bäbi-Egge“!“ Vorstand Frauenverein  

Eine berührende Adventsgeschichte

Die Adventszeit ist ja in christlichen Kulturen die Zeit der Hoffnung, Hoffnung, dass sich etwas ändere, die Welt eine bessere werde. Dazu gehört auch das Warten auf Christus, den Erlöser, der vor langer Zeit versprochen war, vor zweitausend Jahren dann zur Welt kam und bis heute von den Christen als ihr Retter angebetet wird. In der Legende vom vierten König, geschrieben von Edzar Schaper (1908 – 1984), scheint etwas von dieser Hoffnung auf. Der Bulgarische Künstler Ivan Gantschev hat dazu sehr schöne Bilder gemalt.

Marianne Pessina hatte diese zur Besinnung anregende Weihnachtsgeschichte ausgelesen. Mit ausdrucksstarker Stimme und einem Headset als Verstärker hörte und verstand man ihre Worte bis in den hintersten Winkel. Gebannt hörten die Frauen zu. Dazu blendete Ehemann Daniel Pessina jeweils die passenden Bilder ein. Alle gemalten Bilder in diesem Artikel sind dem Buch entnommen.

Der vierte König

Es geht in dieser Legende fast zu und her wie im Märchen vom Hans im Glück. Der kleine russische König verschenkt auf seiner Reise zu dem unbekannten grossen König, den ein heller Stern ankündigt und welcher gleichzeitig den Weg weist, alle seine Güter, am Schluss sogar noch dreissig Jahre seines Lebens, weil er Unrecht und Leid nicht ertragen kann, wenn er sie antrifft. Auf seinem Pferdchen Wanja bricht er auf, beladen mit Geschenken, denn „ohne Geschenke kommt man nicht zu Besuch!“ Doch schon bald begegnet er allerlei Menschen mit schwerem Schicksal, trifft aber auch drei vornehme Herren auf komischen Reittieren an. Das sind eben richtige Könige, sie schauen denn auch etwas auf ihn herab. Eines Nachts – er schläft im Stall bei seinem lieben Wanja, gebiert neben ihm eine Frau ihr Kindlein. Es ist ein Bettlerin, der er von seinem Stoff für das Kindchen schenkt. Im Gegenzug schenkt sie ihm ihr Herz.

Die Könige sind bereits weitergezogen und können nicht mehr eingeholt werden. Und auch der Stern leuchtet weit schwächer als vorher. Als der kleine König sieht, wie zwei dicke, fette Aufseher ihre Gefangenen schlagen, kauft er diese armen Geschundenen kurzerhand frei. Sie brauchen aber auch zu essen, also verschenkt er weiter von seinen mitgeführten Sachen. Als er von all seinen Schätzen nur noch ein Töpfchen Honig übrig hat, fliegt grad auch noch ein Bienenschwarm herbei, sticht den armen kleinen König und frisst allen Honig „rübis-stübis“ auf. Und zu allem Unglück stirbt auch noch das arme Pferdchen. Nun muss der Mann zu Fuss gehen. Endlich kommt er zu einem Hafen. Da begegnet er einer wunderschönen Frau mit einem hübschen Knaben an ihrer Seite. Sie weint. Ihr Sohn sollte für 30 Jahre auf eine Galeere. Kurz entschlossen bietet er sich statt des Jünglings als Galeerensklave an.

Nach dreissig langen, langen Jahren ist er endlich wieder frei. Ganz kraftlos liegt er auf einer Hafenmauer. Ein vornehmer Herr lädt ihn in sein Haus ein. Dieser hat seiner Mutter nämlich versprechen müssen, alle zu retten, die Hilfe bräuchten, denn er sei auch einmal gerettet worden. In einem grossen Garten trifft der kleine König auf eine alte Bettlerin, die ihm sagt: „Ich gebe den Menschen Gelegenheit, Gutes tun, schliesslich habe ich vor vielen Jahren auch einmal mein Herz verschenkt. Nichts geht verloren, wenn man etwas verschenkt.“ Da hört er, wie Menschen aufschreien: „Da wird ein König hingerichtet. Der Mann ist etwa 30 Jahre alt und wird als Gottes Sohn bezeichnet.“ Sterbend liegt der kleine König da und spürt sein Herz schlagen. Er schaut zu dem Mann am Kreuz auf und flüstert: „Willst du mein Herz wohl annehmen? Es ist noch alles, was ich habe.“ Und versöhnt kann er nun friedlich sterben.

Edzar Schaper

Der Autor der bedenkenswerten Geschichte vom vierten König, Edzar Schaper, kam in Posen im heutigen Polen zur Welt. Politisch bedingt erlebte er viele Orts- und Bürgerrechtswechsel. Er begann Studien, die er wieder abbrach, so war er im Gymnasium und Konservatorium Hannover eingeschrieben, schmiss aber beide vor Ende der Ausbildung. Er arbeitete später in den unterschiedlichsten Berufen. Als Kriegsberichterstatter schrieb er beispielsweise über die Vorgänge im Fortsetzungskrieg zwischen Finnland und Russland. Schon früher hatte er für die finnische Regierung spioniert, wofür ihn die Sowjets zum Tode verurteilten.

Die Umstürze zur Zeit des Zweiten Weltkrieges veranlassten ihn gleich mehrmals, zusammen mit seiner Familie – Gattin Alice Pergelbaum und zwei Töchter -, das Land zu wechseln, meist in grosser Eile, blieb jedoch vorwiegend im skandinavischen Raum. In Schweden arbeitete er als Waldarbeiter, wirkte zudem als Übersetzer. 1947 kam er schliesslich in die Schweiz, nach Münster im Oberwallis und wurde Schweizer. 1951 trat er zum katholischen Glauben über und gehörte bald zu den angesehenen Autoren im Land. Er trat in Radio und Fernsehen auf und war in der Nachkriegszeit ein vielbeschäftigter Mann. Religiöse Grundfragen sind ein wichtiger Bestandteil seiner Erzählungen. Die Legende vom vierten König gehört zu seinen wichtigsten Werken.

Musik für das Herz

Oxana Peter-Fedjura, bekannte Pianistin aus Niederbüren, gab dem Abend mit ihrem ausgefeilten, gefühlvollen Spiel auf den Tasten des Flügels im Saal des Kirchgemeindehauses einen festlichen Rahmen. Marianne Pessina hatte ihr kleine Stichworte über die Stimmung der jeweiligen musikalischen Stücke vorgegeben, die die Pianistin mit feinem Gespür für die Nuancen der Geschichte ausgewählt hatte. Sie begann mit einem längeren Werk namens Troika aus den „Jahreszeiten“ von Peter Illitsch Tschaikowsky, dem russischen romantischen Komponisten (1840 – 1893). Die perlenden Klänge passten wunderbar zur Perlenkettengeschichte von vorhin.

Am Flügel ist Pianistin Oxana Peter-Fedjura in ihrem Element.

Atemlos hörten die Frauen dem Spiel auf den Tasten zu und liessen sich von den Klängen berühren. Und vermutlich hat noch kaum jemand hierzulande „Näher, mein Gott, zu dir“, diesen aus dem Film TITANIC von James Cameron weltweit bekanntgewordenen Choral, in so vielen verschiedenen Variationen gehört wie an diesem Abend. Man hörte hier Wasserläufe fliessen, spürte Hoffnung heraus sowie ganz viel Zuversicht und Mut. Entsprechend gross war auch der Beifall der Frauen. Auch das Winterwunderland, von Dean Martin zu einem Welthit gemacht, wurde von Oxana Peter auf eindrückliche Weise interpretiert. Dean Martin mit Winterwonderland Und zum Schluss schenkte sie den Frauen ein tänzerisches Werk, ein Scherzando von Gustav Lange (1811 – 1887).

Mit dem Lied „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit“ trugen auch die Besucherinnen des Frauenadvents das ihre zum musikalischen Teil bei. Das Lied lag – mit einem der schönen Bilder aus dem Buch „Die Legende vom vierten König“ versehenen Faltblatt an jedem Platz neben einem geheimnisvoll eingepackten Gebäck auf. Nach dem besinnlichen Teil folgte ein gemütliches Beisammensein, bei welchem der Vorstand des Vereins, unterstützt von weitern freiwilligen Helferinnen, als Gastgeberinnen wirkten. Wer das Jahresprogramm des Uzwiler Frauenvereins genauer studiert, kann über all die interessanten Anlässe nur so staunen. Wunderbar, dass sich auch immer wieder Frauen finden, die das Vereinsschiff auf Kurs halten. Wie hat doch die Bettlerin in der Geschichte gesagt? „Was man verschenkt, ist nicht verloren“. Das gilt auch für geschenkte Zeit…

1 Ehemalige Präsidentin trifft aktuelles Vorstandsmitglied: links Margrith Kämpfen, letztes Jahr zurückgetreten, dazu Käthi Immoos, Vorstandsfrau. 2 Besprechung der letzten Details… 3 Gemütliches Beisammensein bei Kaffee oder Tee und feinem Gebäck.