Weltklasse in Oberuzwil
Harmonic Brass gastierte in Oberuzwil
14.11.2007 Annelies Seelhofer-Brunner
Erwartungsfrohe Gesichter in der evangelischen Grubenmannkirche in Oberuzwil: ein Quintett wird ein Konzert geben, allerdings nicht „irgendein“ Quintett, sondern die weltweit auftretenden „Harmonic Brass“ aus München. Bis auf den letzten Platz ist die Kirche gefüllt. Alles freut sich auf musikalische Leckerbissen auf höchstem Niveau. Ein Glücksfall für Oberuzwil!
Zustande kam dies, weil der im Frühling so unerwartet verstorbene ehemalige EAO-Direktor Beat Müller und seine Frau Ursi seit vielen Jahren mit den Musikern befreundet sind. Das Konzert galt denn auch dem Andenken an Beat Müller. Die ortsansässige Heer-Stiftung machte es zudem möglich, dass der Eintritt frei war.
Fünf exzellente Musiker
Seit 1991 gibt es das hochprofessionelle Ensemble HARMONIC BRASS. Seither spielen sie in der Besetzung Posaune, Tuba, 1. und 2. Trompete und Horn. Einzelne Künstler sind teilweise später dazugekommen, doch seit drei Jahren spielen sie immer in der gleichen Besetzung. Ihr Klang ist ausgewogen, stets den Konzerträumlichkeit angepasst. So stellten sie sich auch in Oberuzwil auf den eher hellen Klang einer kleineren Kirche ein und schraubten ihr Volumenvermögen auf ein gutes Mass herunter. Der Klang der „Blechinstumente“ tönte zu keiner Zeit blechern, sondern warm, voll, abgerundet und absolut lupenrein in der Tonerzeugung. Höchste Höhen, tiefste Tiefen: kein Problem, sind doch alles ausgebildete Profimusiker, die sich auch mit dem Bau von noch besseren, noch professionelleren Instrumenten befassen.
Humorvolle Moderation
Jürgen Gröblehner, zweiter Trompeter, führte mit einer humorvollen, witzig eine Brücke zu den folgenden Musikstücken schlagenden Moderation durch das äusserst kurzweilige Programm. Anhand der Vorlieben seiner Kollegen erzählte er kleine Episoden aus dem Tourleben und brachte das Publikum damit zum Lachen. Da die Konzerte auf die Auftrittsorte massgeschneidert werden, ändert sich dieser Bezug immer. Diese kleinen Anekdoten zeigten auch auf, wie wichtig die zwischenmenschliche Komponente gerade im Bereich der Musik ist. Kleine Fehler und Macken hat jedermann, das macht auch professionelle Künstler menschlich und lässt den Abstand zu den „Normalsterblichen“ schrumpfen…
Arrangements, die verblüffen
Das Ensemble hat mit Hans Zellner einen begnadeten Arrangeur in seinen Reihen. Ihm gelingt sogar das Kunststück, dem Publikum mit dem Triumphmarsch aus AIDA ein grosses Orchester vorzugaukeln. Dazu wurde sogar der Orchestergraben simuliert, nämlich so: Draussen vor der Tür spielten die Trompeten, innen die Kollegen, dann rannten die zwei Trompeter wieder auf die Bühne – den Chorraum der Kirche -, spielten dort weiter, jetzt ein Spurt zur Seitentüre, dort ein Griff zur Aida-Trompete, ein ganz spezielles Instrument, viel länger als eine übliche Trompete und in stolzer Haltung zu spielen. Eine echt sportliche Darbietung!
Oder das Stück „Canzoni septimi toni Nr. 2“, ein Doppelchor. Fünf Personen, zwei Chöre? Die Tuba spielte einfach für beide „Chöre“ den Unterbau, das Fundament. Die Treppe zur Empore war die Bühne für den einen, der Chorraum andrerseits der für den zweiten Chor. Verblüffend und genial gelöst!
Über 90 Prozent aller Stücke im Repertoire geht durch Hans Zellners Kopf und Hände und wird von ihm auf seine musikalischen Freunde zugeschnitten.
Kurzweilige Darbietung
Die fünf Männer verstehen es, keine Langeweile aufkommen zu lassen. Durch Änderungen in der Aufstellung ergeben sich immer wieder neue Klangbilder. Dazwischen wurde auch kurz einander zugezwinkert, ein Stüpflein gegeben, gelacht, kurz: man spürte den Spass an der Musik, welcher sich auch auf das Publikum übertrug. So kam es gar vor, dass der Posaunist Thomas Lux – dessen Name „Licht“ seinem Spiel auch Verpflichtung ist – sich dem Mann mit der Tuba und dem grossen Atem, Manfred Häberlein, auf die Knie setzte und für den Stuhl darunter Böses fürchten liess!.
Breitgefächertes musikalisches Repertoire
Georg Friedrich Händel, Johann Sebastian Bach, Gioacchino Rossini, Giovanni Gabrieli, Carl Orff und Giuseppe Verdi sind Garanten für wunderbare Musik, bieten Ohrwürmer, die ankommen. Im Gedenken an Beat Müller spielten die Musiker die „Air“ aus „Ouverture Nr. 3 D-Dur BWV 1068“, ein Lieblingsstück des Verstorbenen und seiner Frau. Die Brücke zur Moderne schlug der Hornist Andreas Binder. Er komponierte aus seiner Liebe zu Italien heraus ein „Concerto Italiana“. Hans Zellner hat mit seinen Arrangierkünsten diesem Stück seines Kollegen noch das Tüpfchen aufs I gesetzt.
Zum Schluss wurde in „Hello Dolly“ in den Süden der USA gewechselt und das Publikum zum Mitwippen gebracht. „Swingtime“ bildete, leichtfüssig und Hühnerhaut erzeugend – ganz besonders beim Stück „Sentimental Journey“ – aber auch feurig und überschäumend im Glenn-Miller-Stück „In The Mood“ vorerst den Abschluss.
Begeistertes Publikum
Das Ende des gedruckten Programms war aber noch nicht das Ende des Konzerts. Begeistert und unermüdlich klatschte das Publikum. Schliesslich gab es eine hitverdächtige „Standing Ovation“. Die Musiker liessen sich nicht lange bitten und gaben eine erste Zugabe. Weltrekordwürdig sei das Spiel des Mannes an der Tuba, erklärte Jürgen Gröblehner. Und tatsächlich: Die Finger tanzten so schnell, dass man mit dem Schauen kaum nachkam. Aus dem Stück hörte man das bekannte Volkslied „Mein Hut, der hat drei Ecken“ heraus. Wie der Mann soviel „Schnauf“ aufbringt, erscheint fast unglaublich. Aber er hat den langen Atem, dazu tönt seine Tuba warm, freundlich und ist für ein gutes Fundament unerlässlich. Der Schlusston in tiefster Tiefe wurde dramatisch gesetzt.
Das Publikum war noch immer nicht zum Verlassen der Kirche zu bewegen. Auf Ursi Müllers Wunsch spielte das Ensemble noch aus „Hänsel und Gretel“ von Engelbert Humperdinck „Abends, wenn ich schlafen geh“. Endlich war das beglückte Publikum nun musikalisch gesättigt. Wer den Genuss noch verlängern mochte, kaufte sich eine der mittlerweile 22 CDs, die das Ensemble eingespielt hat.