Weltumspannende musikalische Philosophiestunde

Weltumspannende musikalische Philosophiestunde

3. November 2013 Aus Von Annelies Seelhofer-Brunner

Sieht aus wie ein Wok, tönt wie ein Becken und schwebt als wolkiger Klang über allem, was Bruno Bieri singt, haucht, pfeift, brummelt oder erzählt. Der Künstler braucht keinen Verstärker, kein Mikrofon, einzig seine Stimme und sein selbstentwickeltes Instrument, welches er HANG – abgeleitet vom berndeutschen „Hang „ für „Hand“ – nennt. Dabei umspannen seine dem Publikum offenbarten Gedanken einen grossen Teil des Weltballs. Die Donnerstags-Gesellschaft Oberuzwil lud zu einer Begegnung mit diesem speziellen Instrument ein.

Präsident Thomas Rhyner begrüsste das interessierte Publikum.

C’est le ton qui fait la musique

Unter diesem Motto – könnte übersetzt auch heissen „Wie man in den Wald ruft, so tönt es zurück“ – gestaltete der Berner Musiker und Hang-Erfinder Bruno Bieri seine musikalische Reise in den Bereich der Obertöne, der Weltliteratur und ganz besonders auf den Spuren Mani Matters und der Berner Troubadoure. Sein Instrument HANG unterstützt ihn dabei in allen Lagen. Fast verliebt streicht er über die buckelige Oberfläche des Metalldings. Es sind keine zuordnungsbaren Klänge, sondern eine Art schwebende Klangwolke, die seinen Gesang, aber auch seine gesprochenen Gedanken begleitet. Damit erreicht er auch, dass das Publikum seine Ausflüge in philosophische Welten über grundlegende Lebensfragen nicht ständig mit Applaus unterbricht.

Töne, die man so kaum kennt

Bruno Bieri hat eine eigene Art des Obertonsingens entwickelt. Wer genau zuhört, staunt über die Höhe – und Reinheit – seiner Kopftöne. Man meint eine singende Säge zu hören oder ein Glas, welches gerieben wird. Aber auch die ganz tiefen Brusttöne versteht er zu singen, so dass man sich in mongolischen Weiten wähnt, während sein Brustkasten vibriert, der ganze Bruno Bieri aber weiterhin ziemlich unbewegt auf seinem Stuhl sitzt. Und zwischendrin sucht man vergeblich nach dem Vöglein, das doch irgendwo an der Kirchendecke herumfliegen muss, weil man es immer mal wieder hört –bis man merkt, dass es Bruno Bieri ist, der da so kunstvoll pfeift.

Das HANG

Dass HANG eben berndeutsch sei und eigentlich von HAND komme, machte der Musiker bald einmal klar. Auf der Oberseite sieht es wie ein umgekehrtes Fass aus, oder ein WOK, der aber überall Einbuchtungen hat, die zur gewünschten Tonhöhe führen. Auf der Unterseite sieht es eher aus wie ein riesiges Apfelküchlein, aber aus Metall. Bieri führte aus, diese Form lehne sich an das indische Gefäss Ghatam an, eine Art Ton-Perkussionsinstrument. Die Oberseite ordnet er eher den gehämmerten Fässern Trinidads zu, wie sie Steelbands verwenden. So vereinigt sein HANG Ost und West in bester Weise, genauso wie sein Obertongesang, welcher die Weiten der Mongolei und das Himalayas mit den heissen Rhythmen Südamerikas verbindet, dabei aber auch die einheimische Jodel- und a capella-Szene nicht vergisst.

Lehrstunde über Klangmöglichkeiten

Bruno Bieri sinnierte sozusagen vor sich hin, erklärte, was ein MANTRA laut WIKIPEDIA sei, nämlich eine Art stimmungserzeugendes Klangerlebnis, welches am besten mit der Lautfolge „OM“ erzielt werde. Einem Berner passt so etwas natürlich nicht, der hat ganz andere Möglichkeiten in seinem Dialekt. So fand Bieri für sich das Wort HENUSODE ganz passend, aber auch etwas lang, da brauche HENU einfach noch weniger Energie! Er gab zu, dass er sich bei Schlechtwetter auf einen Calypso einschwinge, vor allem im Tessin, welches ihn vor allem mit Hesse-Texten zu inspirieren scheint, genauso wie die Kleine Scheidegg.

Über allem Mani Matter

Obwohl Bruno Bieri den unvergesslichen Liedermacher Mani Matter nicht persönlich gekannt hat, scheint ihn doch dessen Werk nachhaltig beeinflusst zu haben. Matters Kunst, einen Sachverhalt mit hintergründigem Humor auf den Punkt zu bringen, und das in ganz einfachen Harmonien, das macht auch diese Lieder unsterblich. Viele dieser Werke sind heute Volksgut geworden.

Wer kennt nicht den Kater Ferdinand, welcher „gstorbe n’isch“ oder die Aufführung des Wilhelm Tell „im Leue z’Nottiswil“? Oder gar den „Sidi Abdel Assar vo El Hama“ sowie seine vielen Lieder über Eisenbahnen, Bahnhöfe, den letzten Flug und unzählige andere Texte.

 Laut Bieri sollen das gegen 6000 sein, die Matter in seinen nur 36 Jahren geschaffen hat, neben seiner regulären Arbeit als Notar. Viele Musikerkollegen haben sich der Matterlieder angenommen, „Hemmige“ beispielsweise hat durch Stephan Eichers temperamentvolle Interpretation einen Platz im Liederhimmel auf sicher. Bieris Nachruf auf Mani Matter: „Ohne Matter wäre das Leben matter“. Wie wahr!

Lob der Kuh

Bruno Bieri verriet auch, wo er seine musikalischen Inspirationen hole. Auf der Kleinen Scheidegg beobachtet er Kühe, die in aller Ruhe wiederkäuen, mit ihren grossen Augen die Welt betrachten und – falls sie ihre zwei Hörner noch haben – sicher auch Milch in DEMETER-Qualität gäben. So sind für ihn diese Tiere mit dem Himmel – den Hörnern – und der Erde – den Füssen – verbunden. Ihm ist es auch klar, warum diese Tiere in Indien als Heilige angesehen werden.

Verschiedene Sprachen, verschiedene Klangfarben

Bruno Bieri wechselte spielerisch von seinem heimeligen Berner Dialekt in lupenreines Französisch, flocht lateinische Sequenzen ein, streute da ein englisches Zitat, dort einen italienischen Ausdruck ein. Der Konsonant „L wie Leo“ dient als Grundlage seines Obertongesangs. Dazu muss ja der Rachenraum geöffnet, der Brust- oder Kopfraum als Resonanzboden geweitet werden.

Kirchenraum als Akustikverstärker

Der Künstler freute sich über die wunderbare Akustik in der schlichten Oberuzwiler Grubenmannkirche. Da sind Verstärker unnötig, die Architektur des Raumes übernimmt diese Funktion auf natürliche Weise. Und natürliche Töne sind Bieris Leidenschaft. Als Bieri einmal gar eine Anlehnung an schottische Pipemusik machte, einfach mit seinem Obertongesang, spürte man seine Lust am Unüblichen, Überraschenden, die ihn immer wieder in neue Ton- und Gedankensphären bringt. Eigentlich hatte er ja einen „Schottisch“ bringen wollen, appenzellische Volkstradition, aber eben – Schottland reizte mehr.

Einbezug des Publikums

Das bernischste aller bernischen Lieder ist sicher das Guggisbärglied. „S’Vreneli ab em Guggisbärg und s’Simmeli Hansjoggeli ännet äm Bärg, s’isch äben e Mönsch uf Ärde“ – diese traurige Geschichte zweier Liebenden, die nicht zusammenkommen konnten, ist auch in Ostschweizer Breiten bekannt. Das Publikum wurde eingeladen, den Refrain doch mitzusingen, was noch viel mehr an Obertönen im Kirchenraum erklingen liess.

Und dass man aus diesem Lied auch eine Art Hörspiel à la Bollywood machen kann, bewies Bieri mit seiner Übersetzung auf Englisch, wobei als Essenz einzig das Wort LOVE übrigblieb, welches heute bestimmt auf der ganzen Welt verstanden wird.

SRF 2-Hörerschaft

Das Konzert dauerte ziemlich genau eine Stunde. In dieser Zeit war hie und da ein etwas verhaltener Applaus zu hören, sonst hatte der Künstler die Zuhörerschaft auf sicher. Nichts störte im Kirchenraum die philosophischen Gedankengänge des Obertonauskundschafters, der feine Humor wurde mit leisem, innerem Schmunzeln quittiert und den Worten nachgespürt. Bruno Bieri brachte es auf den Punkt: „Hier sitzt bestimmt ein DRS 2 – oder SRF oder wie das jetzt heisst – Publikum.

Zum Schluss gab es kräftigen Applaus für den Musiker und in Oberuzwil als Alleinunterhalter aufgetretenen Berner namens Bieri. Als Zugabe gab es „Mani Matters letztes Lied“, welches dieser damals nicht hatte singen wollen. Und Bieri ebenfalls nicht! Damit endete eine magische Stunde in der evangelischen Grubenmannkirche Oberuzwil, die alles Äusserliche hatte vergessen lassen.