Wenn das Alphorn rhythmische Gesellschaft bekommt…

Wenn das Alphorn rhythmische Gesellschaft bekommt…

15. Juni 2024 Aus Von Annelies Seelhofer-Brunner

Der Vorstand der Donnerstags-Gesellschaft Oberuzwil entdeckt immer wieder Trouvaillen im grossen Teich der Kulturschaffenden. Diesmal trat der vielseitige Musiker Enrico Lenzin aus Rebstein im Kulturlokal «Alti Gerbi» auf. 120 Personen folgten der Einladung und füllten die Gerbi-Halle.

Schon das Instrumentarium auf der Gerbi-Bühne liess viel Abwechslung erahnen. Man glaubte es dem Musiker Enrico Lenzin aufs Wort, als er bekannte, dass er ein äusserst anstrengendes Kind gewesen sei. Schliesslich habe er jeden verfügbaren Gegenstand sofort zu einer Art Trommel umfunktioniert. Was gibt es Nervigeres für den Rest der Familie? Doch der Mann hat aus dieser Leidenschaft etwas gemacht. Wer seine Webseite etwas genauer anschaut, staunt nur so über die Vielseitigkeit dieses Rhythmus- und Klangkünstlers. Früher meist mit seinem Bruder Peter musikalisch unterwegs, verfolgen die beiden Lenzins heute auch eigene Solo-Auftritte, ohne allerdings das gemeinsame Spiel zu vergessen.

Zur Person

Der Mann hat etwas gemacht aus seiner «Trömmeli-Sucht»! Nach einer soliden musikalischen Ausbildung auf dem Schlagwerk nahm seine musikalische Karriere bei «Die grössten Schweizer Talente» Fahrt auf. Unterdessen hat er laut eigenen Angaben bereits in 25 Ländern Menschen musikalisch beglückt. Er wird gerne auch von Schweizer Botschaften eingeladen. Je nach Örtlichkeit stellt er sein Programm zusammen. Mit dem bekannten „The Dusa Orchestra“ – war er früher zudem neun Jahre lang in ganz Europa unterwegs.

2017 wurde er mit dem Rheintaler Kulturpreis «Goldiga Törgga» bedacht, dies eine ganz besondere Ehre, sagt man doch meistens: «Der Prophet gilt nichts in seinem Vaterlande…» Den ersten «Goldiga Törgga» hatte übrigens 2012 die bekannte Journalistin Jolanda Spirig für ihre lokalhistorischen Bücher bekommen, auch sie eine «Einheimische». Auf der beliebten TVO-Sendung «Im Zug mit… » sprach Enrico Lenzin mit der Moderatorin Natascha Verardo über seine Passion. Er plaudert hier quasi aus dem Nähkästchen. Dieses wird später noch einen eigenen Auftritt bekommen.

Ein spannendes Instrumentarium

Schon vor Programmbeginn durfte man einen abwechslungsreichen Abend erwarten. Da standen Milchtansen mit Trommelbespannung, im Hintergrund ein Waschbrett und eine Grüntonne, im Vordergrund natürlich ein sehr schönes Alphorn, dazu allerlei Glöckchen und am Boden Kabel und eine Loop-Station. Die ländlichen Wurzeln haben in Lenzins Programm offenbar ganz klar bewusst Platz. Da grunzen plötzlich Säuli, jammert ein erbärmlich aussehendes Huhn, blöken Schafe ins Geschehen, zwitschern Vögel dazwischen.

 Auch ein Instrument namens «Hang» war zu sehen, von «Musik-Banausen» oft als «Wok» bezeichnet. Und zwischen all den Rhythmus-Instrumenten zauberte Lenzin später auch ein zweites Alphorn und Grossmutters Nähkästchen hervor. All diese klingenden Gegenstände hatten im Konzert ihren Auftritt. Nicht vergessen werden dürfen zudem seine Turnschuhe mit Step-Eisen, denn die kamen ebenfalls sehr oft zum Einsatz.

Klingender Bauernhof

Die ländlichen Wurzeln haben in Lenzins Programm ganz klar ihren Platz. Aber auch fremdländische Klänge sind zu hören. Mit dem «Hang», nur von Hand bespielt, ja eigentlich «befingert», zauberte Lenzin eine meditative Stimmung. Je nach Ort auf dem Instrument änderte zudem die Tonhöhe. Plötzlich war aber Schluss mit Meditation – ein wilder Fingerritt begann. Alles war live gespielt, durch Loop-Aufnahmen zu einem vielschichtigen Werk zusammengefügt. Die Kunst ist da einfach, zum richtigen Zeitpunkt den richtigen Knopf auf dem Gerät zu drücken oder abzustellen. Der Fantasie scheinen keinerlei Grenzen gesetzt zu sein. Das Alphorn machte meist den Grundton oder überstrahlte das Ganze mit einer Melodie, während rundherum eine eigene Klangwelt entstand. Dass das gerade auch in Asien sehr gut ankommt, ist kein Zufall, ist doch gerade dort die Schweiz für viele ein Sehnsuchtsort. Der Künstler kann seinem Alphorn aber auch ganz andere Töne entlocken, jazzige, rockige, quäkende…

Aus dem Nähkästchen plaudern…

Enrico Lenzin wurde bei seiner Grossmutter fündig, als er nach neuen Rhythmus-Instrumenten Ausschau hielt. Ein äusserst hübsches Nähkästchen – siehe Titelbild – hatte es ihm angetan. Da seien sogar noch die Fäden drin, meinte er verschmitzt. Und so führte er auf diesem Holzkästchen eine rhythmische Darbietung vor, dass man Angst um das schöne Stück bekommen musste. Vermutlich braucht er schon bald ein neues, wenn er auch die Zugaben damit bedient, im Gerbi-Programm beispielsweise mit einem Marsch – Berner Marsch? – der die Füsse mitschwingen und die Hände mitklatschen liess. Lenzin scheint gut im «Abluchsen» zu sein, denn das sehr schöne, natürlich stark umfunktionierte Waschbrett sei von seinem Grossvater, vielleicht auch nur ein Vorgänger von diesem doch sehr aufsehenerregenden Ding. Da reichte es nun nicht mehr, nur ein Gewitter rhythmischer Art auf dem Brett zu erzeugen, nein dazu steppte der Künstler, was das Zeug hielt. In jedem Augenblick war zu spüren, wie sehr er selbst mit höchster Lust am Geschehen dabei ist. Die gute Laune übertrug sich auch auf das Publikum.

Talerschwingen als Sportdisziplin

Enrico Lenzin bekannte, dass er sehr gerne einmal im Zirkus Knie auftreten würde. Wenn man sein Talerschwingen mit fünf Becken gesehen hat, dann ist man sicher, dass diesem Wunsch kaum etwas im Weg steht. Da lagen fünf schöne Milchbecken in unterschiedlicher Grösse auf dem Bühnenboden. Nun brauchte es nur noch je einen Fünfliber für die Klangerzeugung. Alles klappte wunderbar.

Immer wieder mussten die Becken angestossen werden, damit die Fünfliber weiter kreisten, eine richtig sportliche Hochleistung! Am Schluss stand der ausser Atem gekommene Mann wieder auf. Die Idee sei ihm nach einem Auftritt von chinesischen Jonglierkünstlern im Zirkus Knie gekommen, die vor Jahren einmal mit vielen kreisenden Tellern auf Stangen das Publikum verblüfft hatten. Dass er danach nicht gleich ins Alphorn blasen konnte, verstanden alle in der Halle bestimmt sofort. Zu sehr sah man ihn schnaufen.

 

Als Premiere zeigte er auch eine Talerschwingmaschine, die er an einer Messe in Deutschland – allerdings in ganz anderer Funktion – entdeckt habe. Erst wollte diesmal der Fünfliber partout nicht im Becken bleiben, flog immer wieder hinaus, doch dann hatte Lenzin die genau richtige «Schüttelfrequenz» gefunden. Die Maschine war auf eine Minute eingestellt, das Alphorn machte dazu «Disco-Musik».

Grosse Klappe

Auch eine Grüntonne kam zum Einsatz. Man verstand den Stücktitel sofort. «Grosse Klappe» – ein Auf- und Zuklappen des Deckels, dazu ein Gestampfe mit den Step-Schuhen. Manche im Publikum erinnerte das möglicherweise an die Spassgruppe «Pfuri, Gorps und Kniri», die es damit gar einmal an den Eurovisions-Contest – zusammen mit Peter, Sue und Marc – geschafft hatten. Die Blödelbarden hatten in den Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts die Menschen mit ihren Abfall-Instrumenten zum Lachen, gleichzeitig aber auch zum Nachdenken über die Wegwerfmentalität gebracht.

Eine Schrecksekunden erlebten Zuhörerinnen und Zuhörer in den vordersten Reihen, als Enrico Lenzin mitten in einem Stück plötzlich eine Art Kurzalphorn hochhob, etwas schüttelte, dann in hohem Bogen über die Köpfe der Betroffenen auswarf. Und damit nicht genug! Er schwenkte es gleich ein paar Mal hin und her. Und simulierte darauf dank Loop-Gerät ein Alphornduo.

Ja, es war ein Abend voller Überraschungen, Energie und Schwung, ohne übertriebenes «Show-Gehabe». Schon in der Pause sah man überall fröhliche, verblüffte Gesichter. Das änderte sich bis zum Schluss nicht. Enrico Lenzin hatte mit seiner Spielfreude und Klasse einen grossen Farbtupfer in die im Augenblick doch eher nasse Gegenwart gesetzt. Wer weiss, ob nicht plötzlich zuhause Pfannendeckel und Kochkellen nun einen neuen Einsatzzweck bekommen? Kleine Kinder haben das allerdings schon immer gewusst…

Wer noch mehr von diesem Künstler erfahren möchte, höre sich den folgenden Podcast an.

Nächster Anlass der Donnerstags-Gesellschaft:

Am Donnerstag, 29.August 2024 um 20:00 Uhr kann in der katholischen Unterkirche Oberuzwil bereits ein nächstes musikalisches Fest erlebt werden. Der verschmitzte Bündner Musiker, Kabarettist und Autor Flurin Caviezel wird sich – musikalische – Gedanken zum Thema FALTEN machen.