Weihnachtsgedichte 1 und 2

25. Dezember 2022 Aus Von Annelies Seelhofer-Brunner

Wenn keiner mehr an Wunder glaubt,
dann wird’s auch keins mehr geben.
Denn wer der Hoffnung sich beraubt,
dem fehlt das Licht zum Leben.

Wenn keiner mehr darauf vertraut,
dass Wunder noch geschehen,
wie soll der Mensch in seiner Haut
sein Leiden überstehen?

Wenn keiner mehr an Wunder glaubt,
musst du’s allein riskieren:
Im Baum des Lebens, grün belaubt,
sind täglich Wunder aufzuspüren.

Elli Michler – gibt es auch als Lied, von Siegfried Fietz vertont

Von drauss‘ vom Walde komm‘ ich nicht

Von drauss‘ vom Walde komm‘ ich nicht,
sonst wär‘ mein Nadelkleid mehr licht
und nicht von solcher grünen Wucht –
ich komm von drauss aus einer Zucht,
wo man uns Fichten routiniert
auf Weihnacht hin domestiziert,
damit wir dann im Lichterglanz,
bestückt mit buntem Firlefanz,
mit Engelshaaren zart verziert,
von Weihnachtsliedern malträtiert,
verloren in der Ecke stehn
und alles ruft: „Ach, ist der schön!“
Da hat man ja nun nichts dagegen,
man bleibt verschont vorm sauren Regen
und hat es trocken, wohlig warm,
die Leut‘ sind freundlich und voll Charme,
nur Eintracht herrscht und Harmonie
und Friede bis zur Idiotie –
die Menschen werden immer bräver,
das fürcht‘ ich mehr als Borkenkäfer.
Das geht so gut bis nach Neujahr,
dann kräuselt sich das Engelshaar,
und eines Tags wird man getadelt,
weil man schon vor Dreikönig nadelt.
Dann plötzlich wird man vorgerückt,
von rohen Händen abgeschmückt,
vors Haus gestellt, wo’s frostig nieselt,
von Hunden wird man angebieselt,
mit ganz profanem Müll verwechselt
und von der Müllabfuhr zerhäckselt.
Drum wär ich lieber – wenn’s denn sei –
im nächsten Leben ein Bonsai.

Klaus-Peter Schreiner