Zum Weinen schön! «The Lutz Brothers» in Oberuzwil
Mit der Einladung der «Lutz-Brothers» hat die Donnerstags-Gesellschaft Oberuzwil einmal mehr einen Volltreffer gelandet. In Eile mussten noch Stühle bereitgestellt werden, damit alle Interessierten Platz fanden. Thomas Hofstetter, «Götti» des Anlasses, versprühte schon Vorfreude auf den Abend, als er erklärte, wie er in früheren Jahren an der Kanti St.Gallen oft erlebt habe, wie nach einer Sitzung oder einem andern Schulanlass Matthias Lutz plötzlich das Saxofon hervorgenommen und eine aufregende «Session» mit Kollegen begonnen habe. Zusammen mit seinem noch bekannteren Bruder Rudolf «Ruedi» Lutz seien die Zwei einfach einmalig! Und er hatte keineswegs zu viel versprochen!
Rudolf «Ruedi» Lutz (*1951)
Rudolf Lutz ist der ältere des Duos. Sein Name hat weitherum einen guten Klang. 2006 zeichnete ihn der Kanton St.Gallen für sein musikalisches Schaffen mit dem St.Galler Kulturpreis aus. 2016 kam ihm ausserdem die Ehre zu, im Direktorium der Neuen Bachgesellschaft e.V. Leipzig mitzuwirken. Und 2019 hat Rudolf Lutz gar den Schweizer Musikpreis gewonnen, auch dies eine grosse Ehre, sagt man doch oft: «Der Prophet gilt nichts im Vaterland.» Der Musiker straft all diese Aussagen jedoch Lügen. 2021 schliesslich verlieh ihm die Theologische Fakultät der Universität Zürich die Ehrendoktorwürde.
Weitherum bekannt wurde er auch als Dirigent des Bach-Chors St.Gallen. Seit 2006 läuft zudem sein Herzensprojekt, alle Vokalwerke Johann Sebastian Bachs unter dem Dach der J.S. Bach-Stiftung einzuspielen, welches er zusammen mit Konrad Hummler – bekannt von der Wegelin-Bank St.Gallen – verfolgt. 2027 soll das wirklich gigantische Vorhaben abgeschlossen sein. Mit dem folgenden Link können alle Einspielungen nachgehört werden. Man kennt und schätzt Ruedi Lutz aber auch als grossartigen Improvisator, ausgezeichneten Pianisten/Organisten, Komponisten und einfühlsamen Leiter von Offenen Sing-Nachmittagen.
Matthias Lutz (*1953)
Über den zwei Jahre jüngeren Lutz-Bruder Matthias ist auf dem Internet nur wenig zur lesen. Sein Instrument ist das Saxofon, welchem er traumhafte Töne entlocken kann. Seit frühester Jugend haben die beiden Brüder zusammen musiziert. Ihr Repertoire ist äusserst breit, sie spielen von volkstümlicher Musik über geistliche Werke bis hin zu Ragtime, Pop und Jazz alles, und alles mit der ihnen eigenen Spielfreude. In früheren Jahren war er sogar eine Zeitlang Kapellmeister beim Zirkus Knie.
Auf die Frage eines Interviewers an seinen Bruder Rudolf, mit welchem Musiker oder welcher Musikerin er am liebsten zusammenspiele, meinte dieser: «Mit meinem Bruder Matthias». Dies war denn auch durch das ganze Konzert hindurch gut zu spüren. Matthias Lutz hatte zwei Saxofone dabei, ein B-Saxofon und ein Sopran-Saxofon. Bei letzterem habe das Gis-Ventil allerdings manchmal Streikphasen, er hoffe, nicht genau jetzt. Falls dem so war – wer hätte das nebst all den herrlichen Klängen denn überhaupt bemerkt?
Spielfreude und blindes Vertrauen
Wenn zwei Brüder musizieren, die die Musik so im Blut haben, einander blind vertrauen, auch beim Improvisieren nie vergessen, dass da noch ein Duo-Partner ist, dann springt der Funke sofort auf die Zuhörerschaft über. Eine solche zauberhafte Stunde durften alle erleben, die der Einladung der Donnerstags-Gesellschaft Oberuzwil zum ersten Anlass im laufenden Jahr Folge geleistet hatten. Die «Lutz Brothers» begeisterten in der vollbesetzten Grubenmannkirche durchs Band. Beschwingte Stücke wechselten mit eher ruhigen ab, oft war es schwierig, die Füsse stillzuhalten. Von allem Anfang an verbreitete sich eine andächtige Stille in der Kirche, alle waren nur noch Auge und Ohr.
Interessierte können auf der Homepage der Donnerstagsgesellschaft Oberuzwil weitere Informationen nachlesen.
Viel Improvisation
Die Noten schienen allerdings oft nur Staffage zu sein, denn nur selten sah man die Zwei einen Blick darauf werfen. Man fragte sich auch, wie man einen Ton so lange aushalten könne, wie das Matthias Lutz tut, denn beim Zuhören stockte der eigene Atem unweigerlich. Und Rudolf Lutz baute immer wieder kleine Überraschungen in seine Interpretationen ein, welche ein Schmunzeln hervorriefen. Einmal war dies nach einem Schostakowitsch-Walzer ein Beethoven-Schluss mit den berühmten Auftaktklängen der 5. Sinfonie in c-moll, op 67, worauf ein verhaltenes Raunen durch den Kirchenraum ging.
Auch seine äusserst angenehmen, mit feinem Humor gespickten Anekdoten trugen zu einem in allen Teilen gelungenen Abend bei.
Teilausschnitt aus dem Schostakowitsch-Walzer
Humorvolle Moderation
Rudolf Lutz liebt es, vor Publikum aufzutreten. Da schwingen Energien durch den Raum, die sowohl Publikum wie auch Musizierende beflügeln. In einem Interview verriet er einmal: «Auftreten vor Publikum weckt den Löwen in mir. Das Wort ‘Rampensau’ passt zu mir, auch wenn dies nicht unbedingt sehr gediegen tönt.» Es war eine reine Freude, seinen Ausführungen zu den einzelnen Stücken zu folgen. Wer natürlich eine englische Grossmutter hat wie die Lutz-Brüder, die ihnen schon früh den Foxtrott «Kitten on the Keys» vorgespielt und englische Bücher vorgelesen hat., bekommt diese Rhythmen einfach so ins Herz geliefert.
Selbstverständlich durfte dieses furios komponierte – und von Ruedi Lutz am Flügel auch so dargebotene – Stück an diesem Abend nicht fehlen. Die Noten strotzen nur so von Versetzungszeichen, Sechszehntelnoten oder Aktzentbögen. Man sah das herzige Kätzlein förmlich über die Tasten hüpfen, ein wirkliches Tier wäre aber vermutlich schon längst wieder davongerannt, denn das Stück ist nicht nur äusserst anspruchsvoll zu spielen, es dauert auch trotz horrendem Tempo fast drei Minuten.
Äusserst abwechslungsreiches Programm
Der kreolische Komponist, Saxofonist und Klarinettist Sydney Bechet scheint es den Brüdern angetan zu haben, spielten sie doch mehrere Stücke aus dessen Kompositionen, so beispielsweise «It Had to Be You». Aber auch Barmusik war zu hören. Hier wechselte Matthias Lutz zur Jazzgitarre. Sein Bruder hatte dem Publikum zuvor die Szenerie dazu vor Augen geführt. «Ein Glas Sekt, dazu diese Musik im Hintergrund – Genuss pur.» Das war tatsächlich etwas ganz Anderes als die heute oft übliche, lieblos ausgewählte Beschallung an so vielen Orten. Das wippte und schrammte, die beiden Künstler genossen ihre eigenen, oft sogar gegenläufigen Rhythmen und Melodienfolgen – das Publikum schwelgte mit.
Ausflug auf die Empore
Oberuzwil hat auch eine wohlklingende, noch gar nicht so lange revidierte Orgel. Die reizte Ruedi Lutz zu einem Abstecher auf die Empore. Aber so ganz ohne Musik wollte er das denn doch nicht tun. Sein Bruder begleitete ihn deshalb mit dem Saxofon-Stück «Energy», voll Innigkeit gespielt. Oben übernahm sein Bruder danach das Szepter. Man hörte Teile aus Händels Messias mit «Er weidet seine Herde». Unterdessen war Bruder Matthias ebenfalls oben.
Und nun boten die Zwei einen Hochzeitsmarsch von Josef Haydn, dessen Interpretation nicht anders als «mächtig, feierlich, majestätisch, freudig» benannt werden kann. Ein Hochzeitspaar müsste dazu allerdings zügig zum Altar schreiten, da bliebe keine Zeit, sich das Jawort nochmals zu überlegen. Ein weiteres Orgelstück liess Matthias Lutz wieder in den Chorraum zurückgehen, wo er sich zur – angekündigten – Überraschung selbst an den Flügel setzte und seinen Bruder beim Zurückkommen mit einer kraftvollen Improvisation begleitete. Eine wahre Choreografie…
Musik vom Feinsten
Mit «Pick Up The Pieces» von Candy Dulfer zeigte Matthias Lutz noch einmal alles, was er seinem Saxofon entlocken kann. Und manche Töne wollten fast nicht enden, der Mann scheint unendlich lange ausatmen zu können, fast wie ein geübter Taucher.
Mit dem Stück «Sentimental» kam eine besinnliche Note ins Konzert, erinnerte sich Ruedi Lutz doch seiner Aussage nach an die Trauerfeier für eine tragisch verstorbene Kantonsschülerin, welche er zusammen mit dem damaligen Pfarrer Christoph Sigrist – heute am Grossmünster Zürich tätig – gestaltet habe. Das Stück passe einfach immer.
Der bekannte «St.Louis-Blues», 1909 von William Christopher Handy (1873-1958) komponiert, führte noch einmal tief in den schwarzen Süden der USA. Hier kann das Stück mit Sydney Bechet nachgehört werden. Ruedi Lutz animierte da zum Klatschen beim Refrain, das Publikum nahm die Vorgabe zögerlich auf, um schnell wieder der Musik zuzuhören. Man wollte keinen Ton verpassen, denn der Moderator hatte es als letztes Stück vorgestellt. Diesmal bot das Keyboard auch einen rhythmischen Impulsgeber als «dritte Kraft», es tönte wie ein ganzes Orchester. Dass Ruedi Lutz danach sowohl dem Publikum als auch dem Mesmer-Ehepaar Forrer für das Einrichten der Kirche herzlich dankte, zeugte von Wertschätzung für alle Beteiligten.
„Anlass-Götti“ Thomas Hofstetter bedankte sich herzlich für den zauberhaften, energiegeladenen und abwechslungsreichen Konzertabend.
Begeistertes Publikum
Das Publikum war begeistert, spendete langanhaltenden Applaus mit einer Standing Ovation und wurde dafür mit zwei Zugaben belohnt. Eine davon war «Can you feel» von Elton John. Doch Thomas Hofstetter fragte nach seinem Dank an die beiden kühn: «Gell, ihr nehmt noch eins?», was sie mit einem Bechet-Stück mit dem bestens passenden Titel – «After you gone» – natürlich sofort taten.
Noch schöner kann ein Konzert nicht ausklingen. Und berührter kann man kaum nach Hause zurückkehren.
Nächster Anlass der Donnerstags-Gesellschaft: Donnerstag, 1. Juni 2023, 20:00 Uhr, Singsaal OZ
Die Autorinnen Seraina Sattler und Anna Six lesen aus ihrem Buch «Anders aufgewachsen» und lassen Menschen zu Wort kommen, die Aussergewöhnliches erlebt haben.