Elegante Jäger
Der Föhnsturm vom 4. April dieses Jahres hat auch auf die Tierwelt, besonders aber auf die Vogelwelt seinen Einfluss hinterlassen. Tags darauf fand ich am nördlichen Eggwaldrand etliche tote Vögel, darunter auch Amseln und Buchfinken.
Dass es diese beim Holzsturz erwischt hat, ist wohl darauf zurückzuführen, dass sie sich schon am Brüten befanden. Mit den Verletzten hatten wildernde Katzen wohl schon aufgeräumt, was an den Federspuren zu ersehen war. Es war dann auch längere Zeit danach im Egg- und Sommersbergwald fast unheimlich still, kaum ein Vogelruf war zu vernehmen. Auch das Eichelhäherpaar, das einem sonst immer mi seinem warnenden „Gespött“ empfing und von Baum zu Baum hüpfend ein Stück weit begleitete, hatte sich verzogen.
Am meisten vermisste man jedoch das mächtige Kolkrabenpaar, welches diese Gegend schon jahrelang als sein Revier benutzte. Kolkrabe heisst dieser Vogel, nicht „Kohlrabe“, wie viele Leute meinen, wohl wegen des hohltönenden Kra-Kra, mit dem sie ihre Beute einzuschüchtern versuchen.
Ich habe diese Vögel viele Jahre beobachtet und viel Interessantes erlebt. Der Standort ihrer Horste ist mir nicht bekannt, muss aber weiter südlich liegen, denn sie fliegen immer aus dieser Richtung an, fast regelmässig in der Morgendämmerung. Ihr Jagdgebiet dürfte viele Quadratkilometer umfassen. Interessant sind vor allem ihre Jagdmethoden. In grösser Höhe daherkommend suchen sie vorwiegend die Hügelwälder ab – bis Anfangs Sommer nur paarweise, nachher mit einem, höchstens zwei Jungen.
Im Waldgebiet fliegt meistens ein Vogel knapp über den Baumwipfeln, während der Partner in Stammhöhe durch den Wald zieht. Ihren durchdringenden Ruf lassen sie erst ertönen, wenn sie eine mögliche Beute entdeckt haben. Mir ihrer Flügelspannweite von über einem Meter sind sie auch vorzügliche Segler, die den Aufwind bestens zu nutzen verstehen. Gejagt werden alle Arten von Vögeln, aber auch Eichhörnchen bis hin zum Hasen oder einem Rehkitz. Sie haben aber nichts gemein mit den Nesträubern der anderen Rabenvögel dieses entdeckte Gelege ausnehmen. Nein, sie warten, bis die Jungvögel fast flügge sind, da sich dann der Raub eher lohnt.
Den Wildtauben, die nicht sehr geschickt sind in Sachen Tarnung, haben sie im Lauf der Jahre den Garaus gemacht, ich meine in der genannten Gegend. Früher hatte es im Eggwald mehrere Gelege.
Interessant war es, wenn es das Jagdgebiet zu vereidigen galt, etwa gegen durchziehende Greifvögel. Einmal hatte ich Gelegenheit, einen stundenlangen Kampf mit einem solchen Paar – ich glaube, es waren Wanderfalken – zu beobachten. Nach längerem Auf und Ab und Gekurve flog einer der der Greife auf dem Rücken von unten herauf auf seinen Gegner zu und ich glaubte, jetzt habe es ihn erwischt. – Aber was tat der Rabe? Die Flügel plötzlich zuklappen und sich hintenüber in den Sturzflug fallenlassen in einem, während sein Gefährte seinerseits den Gegner fast zu fassen kriegte. Obwohl beide Seiten Federn lassen mussten, war keiner der Vögel verletzt. Der Kampf war aber lange noch nicht zu Ende, doch kamen sie sich nicht mehr so nahe. Es fast nach einem beidseitigen strategischen Rückzug aus, als plötzlich einer der Greife ein Stück weit geradeausflog und die Kolkraben seitlich Abstand nahmen. So trennten sich die ungleichen Kämpfer, die schlanken Greife und die wuchtigen Schwarzröcke.
Ein anderes Mal war ein Trupp Amseln in einem Rotholdergestrüpp am Schmausen, als die Kolkraben zu Dritt über der Eggkrete auftauchten. Die Amseln liessen sich bis auf eine ins vorhandene Kraut fallen und blieben unsichtbar. Die eine aber wollte, in Bodennähe fliegend, das gutversteckte Nest erreichen, wurde aber von einem entgegenfliegenden Jäger noch in der Luft erwischt.
Eines Tages fand ich am Rande eines Hagebuttenstrauches die Reste eines ausgewachsenen Hasen, die nur noch aus den Läufen, einigen Fellfetzen und der ausgehöhlten Schädeldecke bestanden. Keine Frage, wer da am Werk gewesen war! Die Kolkraben hatten ihn aus dem Dornbusch gezerrt. Auf freiem Feld hat kein Hase gegen diese Vögel eine Chance.
Einmal hat eine Häsin noch im Spätherbst drei Junge nahe dem Waldrand in dien Mulde gesetzt, welche die Kolkraben bald entdeckten. Ich entschloss mich, diese zu schützen, da sie schon gut entwickelt waren., und erstellte aus Weisstannenästen eine Laube und hoffte, dass das ungewohnte Gebilde die Räuber abhalten würde, jedoch umsonst, die Vögel liessen sich nicht täuschen. Schon tags darauf waren alle Häslein verschwunden.
Aus dem Wallis kam vor einigen Jahren ein Bericht, dass sich Kolkraben öfters als Geburtshelfer bei Schafen betätigen, wobei nicht nur das Lämmlein getötet wurde sondern auch die Mutter wegen Verletzungen abgetan werden musste. Da sich Schafe vor dem Lammern gerne in Deckung begeben – zwischen Felsblöcke beispielsweise -, ist es, so glaube ich, Sache der Hirten, solche Schadenfälle zu verhindern.
Zu diesem Bericht wurde ich animiert, als ich die beschriebenen Vögel wieder einmal im Sommersberggebiet beobachten konnte, wie sie ein anderes Paar verjagten, welches ihnen das Jagdgebiet streitig machen wollte. Die Angreifer zogen bald den Kürzeren.
1988