Interview mit Ellen Schout Grünenfelder

Interview mit Ellen Schout Grünenfelder

19. Januar 2022 Aus Von Annelies Seelhofer-Brunner

Die Theologin Ellen Schout gehört seit dem 01.01.2022 zum Seelsorge-Team der evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Oberuzwil-Jonschwil. Sie stellte sich den Fragen von Annelies Seelhofer-Brunner in einem schriftlichen Interview.

Sind Sie in einem religiösen Umfeld aufgewachsen?

Nicht wirklich. Die Mutter katholisch, der Vater zwar evangelisch, aber ausgetreten. Er hat mir die Liebe zur Orgelmusik mit auf den Weg gegeben, meine Mutter meine katholische Kindheit und Jugend.

Wann spürten Sie, dass Sie theologische Fragen interessieren?

Als Kind schon war ich tief berührt von Jesus, der so leiden musste, der für seine Überzeugung alles auf sich genommen hat. Das war aber nicht «theologisch», ich habe ganz früh schon spirituell alles aufgesogen, was ich bekommen konnte. Wollte Ministrantin werden, das war aber für Mädchen verboten. Mit 16 war ich in Taizé: Ab da habe ich in der Kirche meiner Heimatgemeinde mit dem evangelischen Pfarrer zusammen Taizé-Gottesdienst gestaltet. Auch Nonne wollte ich eine Zeitlang werden, die Karmelitinnen vom Carmel de la Paix in Mazille /Bourgogne haben mich so beeindruckt. Und Priesterin wäre ich ebenfalls gern geworden. Aber das gibt es ja noch nicht. Das war alles, bevor ich angefangen habe zu studieren.

Welche Aspekte einer theologischen Ausbildung haben Sie am meisten fasziniert?

Meine Schwerpunkte im Laufe des Studiums waren sehr vielfältig. Weshalb ich auch nach wie vor finde, es gibt kein spannenderes Studium als das der Theologie.

Ein paar Beispiele: Medizinethik (damals war der deutsche Abtreibungsparagraph 218 sehr umstritten), sumerische Schöpfungsmythen (mit Exkursion in den Louvre, wo wir uns gegenseitig Vorträge zu den Exponaten gehalten haben), die Schöpfungsgeschichten der Maori, die Geschichte des Hinduismus, Religionskritik (Feuerbach, Marx, Freud), Gefängnisseelsorge (mit Besuchen bei gefangenen Frauen und Gottesdienst mit ihnen), Sozialethik (besonders Gewaltfreiheit), Spitalseelsorge (die Ausbildung Clinical Pastoral Training – CPT – habe ich schon während des Hauptstudiums gemacht)

Was wünschen Sie sich im Austausch mit den Gemeindemitgliedern aus Oberuzwil- Jonschwil?

Da bin ich ganz offen, was kommt. Ich hoffe, dass sie mir mitteilen, wenn sie meinen Besuch, ein Gespräch mit mir wünschen.

Wie viele Stellenprozente umfasst Ihre Stelle?

Sie ist auf 60% angelegt, plus 20% für die Wegbegleitgruppe, die ökumenisch funktioniert.

Wie sehen Sie die Stellung der Frau in der evangelisch-reformierten Kirche des Kantons St.Gallen?

Gleich wie in der Gesamtgesellschaft. Die Kirche bildet die Zustände ab, die in der Gesellschaft herrschen. Ausnahme: Die katholische Hierarchie – aber deswegen bin ich ja dort mit 20 Jahren ausgetreten und habe später evangelische Theologie studiert.

Welche Generation liegt Ihnen ganz besonders am Herzen?

Angestellt bin ich extra für die Seniorenarbeit und ich habe mir ausbedungen, dass ich mich auch um Flüchtlinge und Menschen in schweren Lebensumständen – beispielsweise Armut – kümmern darf. Interesse habe ich für alle Menschen. So besuche ich seit meinem Studium in Marburg/D Menschen in der Psychiatrie bzw. nach ihrer Entlassung. Damals habe ich das schon regelmässig ehrenamtlich gemacht.

Im Studium in Zürich habe ich nebenher Erwachsenenbildung für das Forum für Friedenserziehung studiert (Gewaltfreie Kommunikation, Spiritualität der Gewaltfreiheit). Das ist mir auch sehr wichtig.

Welche biblischen Aussagen sind für Sie zentral?

Gott ist Liebe. Jesus hat gewaltfrei gekämpft. Er ist besonders zu den Ausgestossenen gegangen und hat ihnen mit seiner Person und seinem Handeln Gottes Liebe gezeigt und sie so von ihren Traumata geheilt. Dazu gehört auch die Bergpredigt.

Was interessiert Sie an andern Religionen?

Alle Religionen sind menschengemacht. Alle Menschen fühlen, wenn sie es zulassen, ein Gerufensein von Gott. Wie Menschen das kulturell ausgestalten, das ist zweitrangig. Ich stelle mir ein Rad mit vielen Speichen vor: In der Mitte ist die Verschmelzung mit Gott, an den Speichenenden am Radäusseren sind die dogmatisch verfassten Religionen mit ihren Regeln und Spezialitäten. Mystiker und Mystikerinnen aller Religionen betonen, dass die göttliche Mitte dieselbe ist. Also beschäftige ich mich beispielsweise gerne mit jüdischer und islamischer Mystik.

Wie wichtig ist für Sie die ökumenische Zusammenarbeit?

Sehr wichtig. Da ich früher katholisch war, fühle ich mich dort genauso zu Hause wie bei uns Evangelischen. Ich freue mich sehr, dass ich so gute und freundliche Beziehungen zu den katholischen Seelsorge-Teams und den Gemeindemitgliedern der Seelsorgeeinheit Uzwil/Oberuzwil/Bichwil habe. Wir haben schon viele Male zusammengearbeitet. Auch mit Rolf Wyder von der EMK – Evangelisch-Methodistische Kirche – in Niederuzwil gab es schon eine sehr schöne Zusammenarbeit.

Ich hoffe, dass wir das so weiterführen. Der gegenseitige Respekt ist toll, die Offenheit für die Anderen eine christliche Notwendigkeit. Von der Wegbegleitgruppe her, die ökumenisch ist, habe ich in dieser Beziehung sehr erfreuliche Erfahrungen gemacht.

Denken Sie über neue Formen der Verkündigung nach? Wenn ja, über welche?

Früher haben wir hier 10 Jahre lang ökumenische Gottesdienste unter dem Titel «Das Leben feiern» durchgeführt. Wir sind an ganz verschiedene Orte gegangen: Platanenhof, Bettenauer Weiher, Buecherwäldli, Bücherladen Nützi, Bauernhöfe – auch in verschiedene Kirchen und Kapellen hier. Das waren experimentelle Gottesdienste, etwa zu den Themen Tierethik, Natur, Literatur als Theologie, Salbungsgottesdienste, Bibliolog und Klezmermusik…

Ausserdem war ich viele Jahre für den Weltgebetstag tätig, auch im Vorbereitungsteam in Lichtensteig. Dort habe ich auch viele Bibliologe gestaltet und partizipative Gottesdienste ausprobiert.

Lieben Sie es, im Team unterwegs zu sein?

Ich denke, der Austausch mit den Anderen im Team ist wertvoll. Alle sind wichtig: die Sekretärinnen, das Mesmer-Team, das Seelsorge-Team, die Mitglieder der Kirchenvorsteherschaft.

Besuche machen hingegen ist eine Aufgabe, die jede und jeder für sich allein wahrnimmt.

Soll die Kirche Ihrer Meinung nach bei politischen Fragen mitreden, sich möglicherweise sogar einmischen?

Schweigen ist zustimmen. Jesus hat nicht geschwiegen, wenn er Unrecht gesehen hat.

Wie würden Sie Ihr Menschenbild umschreiben?

Der Mensch möchte gut sein. Was ihn daran hindert, sind seine persönlichen Traumata, seine Überlebensstrategien, die möglicherweise nicht – mehr – passend sind. Menschen sind Teil der Schöpfung, nicht ihre Beherrscher, sondern eher als Gärtner und «Verwaltersleute» eingesetzt. Menschen brauchen Menschen, um einander zum Blühen zu verhelfen.

Wie möchten Sie Menschen aus kirchenferner Sozialisation begegnen?

Indem ich mich extra an Orte begebe, wo ich Menschen begegne, die ich garantiert nicht – oder eher selten – in einer Kirche antreffen würde. Ich arbeite regelmässig mit im Team der Markthalle (katholisches Pfarreizentrum Niederuzwil, jeden Dienstag von 16.15 bis ca. 19 Uhr). Dort werden Lebensmittel und Kleider und Schuhe an Armutsbetroffene verteilt. Das ist für mich einer der wichtigsten Dienste. Das macht Kirche «not-wendig» und zeigt sie von ihrer diakonischen/karitativen Seite.

Sind für Sie gewisse Strukturen – von Landeskirche/Kirchenrat vorgegeben – hilfreich oder eher hinderlich?

Das weiss ich jetzt noch nicht.

Frauenanliegen sind Ihnen wichtig. Werden Sie Ihr Augenmerk möglicherweise ganz besonders auf solche Aspekte legen, ohne dabei das ganze gesellschaftliche Gefüge aus dem Blick zu verlieren?

Bei den Armutsbetroffenen, die ich begleite, sind viele alleinerziehende Mütter mit Kindern. Das ist in der reichen Schweiz immer noch das grösste Armutsrisiko. Auch von meiner Arbeit für den Frauenverein (Soziales) her ist mir das noch sehr präsent. Oft vergessene Frauengestalten in der Bibel sind mir ebenfalls sehr wichtig.

Flüchtlingsfragen beschäftigen Sie stark. Wo sehen Sie für sich Möglichkeiten, im Rahmen Ihrer seelsorgerischen Tätigkeit sich auch für diese Menschen einzusetzen?

Die Flüchtlinge /Flüchtlingsfamilien, die ich teilweise schon seit vielen Jahren begleite, leben mehrheitlich in Niederuzwil. Das fällt also weiterhin unter meine Tätigkeit für die Wegbegleitgruppe. Oberuzwiler Flüchtlinge kenne ich nur wenige bisher – aus Markthalle und Marktstube in Niederuzwil.

Werden Sie das Café Plus als Vermächtnis von Richard Böck ebenfalls weiter betreiben? Oder einer anderen Gruppe übergeben?

Das Café Plus wird schon jetzt von Bettina Augustin geleitet. Sie sucht für jeden Samstag jeweils zwei Freiwillige, welche Kuchen backen und/oder beim Service mithelfen. Richard Böck – und nun ich – sind da nur «Schirmherren» und kommen vorbei, um mit den Leuten ins Gespräch zu kommen. Genauso ist es mit dem Witwennachmittag. Karin Bernhardsgrütter leitet den, wir vom Seelsorge-Team tragen ab und zu etwas zum Programm bei.

Wie wird die Aufteilung Oberuzwil-Jonschwil in Zukunft aussehen?

Die Gemeinde sucht gerade jetzt eine neue Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter zu 80% ins Seelsorge-

Team mit Schwerpunkt Jonschwil, soweit ich informiert bin.

Herzlichen Dank für die Beantwortung dieses Fragebogens.

Der ganze Gottesdienst kann unter diesem Link nachgelesen werden. Neues Mitglied im Seelsorge-Team von evangelisch Oberuzwil | Hallowil.ch